Porsche - Gipfeltreffen

Gipfeltreffen

Hans Herrmann (86) und Richard Attwood (74) feierten 1970 den ersten Le-Mans-Triumph für Porsche im 917, Romain Dumas (36) und Timo Bernhard (33), die 2014 für Porsche starten, trugen sich 2010 mit Audi in die Liste der Gesamtsieger ein

Es ist ein Gipfeltreffen der besonderen Art: vier Le-Mans-Sieger an einem Tisch. Die Spanne von 40 Jahren zwischen den Erfolgen 1970 und 2010 liefert viel Gesprächsstoff über Technik und Taktik, Gefühl und Gefahr, Spaß und Sport.

Romain Dumas: Mensch, Hans, in den Siebzigerjahren Le Mans zu fahren – das muss ein Abenteuer gewesen sein. Ich schätze diese alten Autos. Sie waren sicher schwer zu beherrschen. Damals war der Fahrer anders gefordert und auf sich gestellt. Heute sind die Anforderungen dafür vielfältiger. Die Rennautos bewegen sich auf einem hohen technischen Level, der Fahrer muss im Cockpit multifunktional agieren.

Timo Bernhard: Ihr hattet auch mehr Ruhe und Freiheiten im Auto und konntet so fahren, wie ihr das für richtig hieltet. Es gab ja fast keine Kommunikation mit der Box. Heute ist die Gewichtung ganz anders. Wir haben mehr als 20 Knöpfe am Lenkrad und stehen permanent mit der Box in Kontakt.

Hans Herrmann: Ich würde verrückt werden mit den Knöpfen.

Bernhard: Hat euch wirklich keiner reingeredet?

Herrmann: Wir hatten mehr Einfluss und bekamen keine Anweisungen. Das war technisch gar nicht möglich. Wir mussten alles selbst spüren und uns das Rennen einteilen. Ein gutes Beispiel ist Le Mans 1969. Jacky Ickx im Ford GT40 und ich haben uns in den letzten eineinhalb Stunden zwei- bis dreimal pro Runde an der Spitze gegenseitig überholt. Meine Bremsbeläge vorne waren schon bis aufs Blech runter. Ich hätte in die Box fahren können, denn der Dritte lag zwei Runden zurück. Die Entscheidung lag allein bei mir. Ich dachte, der Jacky kann ja auch ein Problem bekommen. Deshalb blieb ich draußen.

Richard Attwood: Bei uns hatte das Teammanagement keinen Schimmer, was wir da draußen machten.

Bernhard: Heute bestimmt die Box die Strategie und der Fahrer ist gläsern. Die Telemetrie überwacht das Auto permanent. Nach einer Set-up-Änderung wird gefragt: ,Wie war das?‘ Es ist total wichtig, dass man das Auto spürt. Unsere Aussagen werden nachgeprüft.

Herrmann: Dadurch habt ihr aber auch ganz schön Druck.

Dumas: Also, ich weiß nicht. Ihr zwei solltet 1970 den ersten Gesamtsieg für Porsche in Le Mans holen – das halte ich für einen extremen Druck! Aber dafür hatte der Fahrer die Kontrolle. Was er über das Auto gesagt hat, war Fakt.

Herrmann: Wie gesagt, mit den Knöpfen könnte ich mich nicht anfreunden, aber um andere technische Errungenschaften beneide ich euch. Das fängt schon bei der Kleidung an. Oder die Sicherheitseinrichtungen zum Beispiel. Ich werde oft gefragt: ,Würdest du heute fahren?‘ Dann sage ich: Sofort! Denn es gibt viel Geld und wenig Risiko. Wir hatten wenig Geld und viel Risiko. Am Start hat man sich oft überlegt: Wen trifft es heute?

Dumas: Es kommt nicht auf das Geld an, Rennfahren ist Leidenschaft. Manche bezahlen sogar dafür.

„Vieles lässt sich kaum vergleichen. Schalten, lenken, bremsen – das war damals anstrengender. Aber ihr müsst heute deutlich höhere Fliehkräfte aushalten.“ Richard Attwood

Attwood: Natürlich war unsere Zeit gefährlicher, allein von der Strecke her. Heute gibt’s Schikanen, Leitplanken, Auslaufzonen. Dennoch bedeutete für mich und meine Ära der Bau der Schikanen auf der Hunaudières das Ende von Le Mans. Diese lange Gerade, die hat das Rennen doch ausgemacht! 50 Sekunden lang hatte man dort Zeit zum Entspannen – auch wenn das bei Tempo 340 töricht klingt.

Dumas: Ich habe allergrößten Respekt vor den Fahrern dieser Ära. Heute haben wir Carbon-Monocoques, Carbonhelme, HANS [Head and Neck Support], Gurte. In den Rennautos der Siebzigerjahre war es leider normal, dass immer wieder Fahrer ums Leben kamen. Ich finde insgesamt, dass sich der Charakter des Rennens stark verändert hat, seit ich vor zwölf Jahren zum ersten Mal dort angetreten bin. Man fährt mittlerweile 24 Stunden lang Sprint, immer Spitz auf Knopf. Es ist, als würden wir mehrere Formel-1- Rennen hintereinander bestreiten. Ich glaube, dass die Prototypenunfälle der letzten Jahre darauf zurückzuführen sind, dass wir immer auf der letzten Rille unterwegs sind.

Bernhard: Nicht nur die Autos gehen an die Grenze, wir Fahrer ja auch. Wie war denn das bei euch beiden? Hattet ihr auch Fitnesstrainer und Masseure? (großes Gelächter)

Attwood: Es war keiner da. Auch niemand, der einem gesagt hat, was man essen soll. Wie man sich vorbereitet, lag einzig und allein in den eigenen Händen. Wir haben halt geschaut, dass wir so fit wie möglich anreisen, um den Job richtig machen zu können.

Herrmann: Ich habe in Stuttgart im Boxverein trainiert, Reaktion und Schnelligkeit waren wichtig. Aber es gab auch Fahrer, die haben gar nichts gemacht. Insgesamt war alles recht primitiv. Wir haben uns im Lkw umgezogen, und wenn die Klamotten klatschnass waren, hat ein Monteur sie mit einem Heizgerät zu trocknen versucht.

Dumas: Ihr seid damals zu zweit gefahren. Das wäre heute total crazy. Wir fahren einen Sprint über dreieinhalb Stunden – und sind komplett kaputt. Dann gehen wir zum Physiotherapeuten oder Masseur. Und dabei treiben wir viel Sport. Vor dem Rennen gibt es einen Fitnesscheck, im Winter zwei Fitnesswochen. Und ich absolviere einen Marathon pro Jahr.

Attwood: Vieles lässt sich eben kaum noch vergleichen. Schalten, lenken, bremsen – das war damals viel anstrengender. Aber heute seid ihr Jungs viel fitter. Für mich ist es unfassbar, welche Fliehkräfte ihr aushalten müsst. Bis zu 4 g! Unser Maximum lag bei 1 g.

Bernhard: Wir haben durch mehr Abtrieb und die Flügel eine deutlich höhere Querbeschleunigung, was vor allem für den Nacken eine enorme Mehrbelastung ist. Dagegen sind die Geraden fast eine Erholung. Unser Siegerauto 2010 hatte eine Höchstgeschwindigkeit von 335 km/h. Aber das Auto lag durch den Abtrieb ganz ruhig. Wir merkten auf der langen Geraden gar nicht, wie schnell wir waren.

Herrmann: Es war schwierig, die Autos in der Spur zu halten. Die Windeinflüsse waren extrem. Kurz bevor man am Ende der Geraden die Mulsanne-Kurve anbremst, kommt ein leichter Rechtsknick. Da konnten wir es stehen lassen – vorausgesetzt, der Wind ließ zu, dass man auf der linken Streckenseite fuhr. Unser Motto war: Nichts riskieren, stehen lassen. Das klingt komisch, aber durchs Gaswegnehmen wurde das Auto extrem unruhig. Man darf nicht vergessen, dass wir wahnsinnig schnell waren. 1970 waren auf der Hunaudières 384 km/h möglich. Aber im Rennen lag die Höchstgeschwindigkeit bei 340 km/h. Wir wollten ja 24 Stunden durchhalten.

Bernhard: Wie oft musstet ihr eigentlich während des Rennens die Bremsen wechseln?

Herrmann: Ich weiß es nicht mehr so genau. Aber wahrscheinlich sind die vorderen Bremsbeläge schon mal gewechselt worden.

Bernhard: Unsere heutigen Carbonbremsen muss man nicht mehr wechseln. Dabei geht es ja nicht nur ums optimale Anbremsen der Kurven. Man muss ja auch auf die lieben Konkurrenten aufpassen …

Herrmann: Die Differenz zwischen uns und den Langsamsten betrug auf der Geraden fast 100 km/h. Das war ganz schön gefährlich, besonders bei Nacht, Regen oder Nebel, wenn man nicht sehen konnte, was für ein Auto zum Überrunden anstand.

Bernhard: Wenn mir jemand auffällt, sage ich den Teamkollegen gleich: Pass auf das gelbblaue Auto auf, der Fahrer macht keinen so routinierten Eindruck. Das kann dir helfen, das Rennen zu überstehen. In Le Mans braucht man Teamgeist. Habt ihr euch gegenseitig gewarnt?

Herrmann: Nein. Jeder musste die Situation auf der Rennstrecke selbst einschätzen. Aber da ich 1970 schon viel Le-Mans-Erfahrung hatte, habe ich Richard den Rat gegeben, sich am Anfang zurückzuhalten. Lass die anderen erst mal rennen, hab ich gesagt. Schnell muss man trotzdem sein. Aber wir haben auf die Bremsen aufgepasst, aufs Getriebe, auf die Drehzahl. Wahrscheinlich hat der Rat geholfen. Wir haben ja gewonnen. Und dann das Wetter. In Le Mans regnet es gern. Das nervt!

„Ihr hattet schlechte Reifen, Autos mit viel Leistung und keine Traktionskontrolle. Heute ist der Asphalt besser, wir haben gute Reifen, gute Scheibenwischer.“ Romain Dumas

Dumas: Das kann ich unterschreiben. Und für euch waren die Bedingungen ja noch entscheidender. Ihr hattet im Vergleich zu uns heute schlechte Reifen, Autos mit viel Leistung und keine Traktionskontrolle. Da haben wir Glück, der Asphalt ist besser, wir haben gutes Reifenmaterial, gute Scheibenwischer. Im Regen war es damals doch komplett verrückt! Und dann mit Tempo 340!?

Attwood: Tempo 340 – das ging natürlich nicht. Wenn es stark geregnet hat, sind wir manchmal einfach ganz langsam gefahren. Wir mussten uns den Verhältnissen anpassen, sonst war der Grip weg. Und mangels Leitplanken landete man dann direkt im Wald.

Dumas: Ich stelle mir vor, dass die Atmosphäre in der damaligen Zeit ganz anders war. Man sieht auf den alten Fotos, dass die Zuschauer überall hinkamen. Heute braucht man auch als mehrfacher Le-Mans-Sieger die richtige Akkreditierung und muss durch fünf Kontrollen durch. Und trotzdem: Es macht unheimlich Spaß.

Bernhard: Oh ja, es ist ein unglaubliches Rennen. Für mich ist Le Mans ein magischer Ort, an dem sich Historie und Tradition einerseits und modernste Hybrid-Technologie unserer Rennautos andererseits mischen. Ein großartiger Mix, den auch die Fans lieben. Das zeigen die Zuschauerzahlen. Le Mans ist das Wimbledon des Motorsports. Für mich ist es eine Ehre, dort zu fahren.

Attwood: Le Mans ist und bleibt ganz speziell. Dieses Rennen ist ein Welt-Event.

Aufgezeichnet von Eva-Maria Burkhardt
Fotografie: Rafael Krötz