Porsche - Zwei Rennen in Einem

Zwei Rennen in Einem

Motorsportchefs unter sich. Verbales Warm-up mit Fritz Enzinger und Hartmut Kristen. Der eine ist in Le Mans für den 919 Hybrid verantwortlich, der andere für den 911 RSR. 24 Antworten zur Herausforderung.

Was bedeutet es, mit Porsche in Le Mans zu starten?
Fritz Enzinger: In Le Mans anzutreten, ist immer etwas ganz Besonderes. Diese Atmosphäre ist einmalig. Das macht Siege auch so unvergleichlich. Aber Porsche und Le Mans sind aufgrund der Erfolge historisch und emotional eine einzigartige Verbindung. Keine andere Marke wird dort von so viel Mythos umweht.
Hartmut Kristen: Ich bin ja schon seit 1994 bei Porsche, und mancher könnte meinen, beim 21. Mal wäre Le Mans gar nicht mehr so besonders. Aber die über 60-jährige Geschichte und die 16 Gesamtsiege des Unternehmens sorgen für eine enorme Erwartungshaltung, der man sich ja gar nicht entziehen kann - und will. Unser Klassensieg bei den 24 Stunden von Daytona im Januar 2014 hat die Erwartungen natürlich nochmals angestachelt.

Ihr bis dato eindrücklichster Le-Mans-Moment?
Fritz Enzinger: Den BMW-Gesamtsieg 1999 zu feiern.
Hartmut Kristen: Ich kann das nicht auf einen Moment beschränken. Natürlich war der Doppelsieg in der GT-Klasse 2013 toll. Und der Doppelsieg im Gesamtklassement 1998 erst recht. Und auch der Sieg des Dauer-Porsche 962 im Jahr 1994 ist mir in besonderer Erinnerung geblieben, wir steckten damals in einer schwierigen Zeit. Es sind auch nicht nur Siege, die besondere Gefühle zurücklassen. Ein Mal waren wir unglücklich mit beiden Autos ausgefallen. Da kam ein Konkurrent und sagte mir ehrlich betroffen: Das habt ihr nicht verdient.

Der 911 RSR gehört in seiner Klasse traditionell zu den Favoriten. Das gilt für den 919 Hybrid zwar nicht, aber die Erwartungen sind hoch. Wie gehen Sie mit dem Erfolgsdruck um?
Fritz Enzinger: Ich versuche, nichts dem Zufall zu überlassen und alles mit einem guten Gefühl anzugehen. Rennsituationen kann man oft nicht beeinflussen. Alles, was dann kommt, ist das Ergebnis von zweieinhalb Jahren Arbeit.
Hartmut Kristen: Ich versuche, das auszublenden, einen klaren Kopf zu behalten und der Mannschaft den Rücken freizuhalten. Das ist nicht immer einfach, muss aber sein.

Wann werten Sie einen Le-Mans-Start als erfolgreich?
Fritz Enzinger: Wenn wir mit dem neuen LMP1 wettbewerbsfähig sind, ein ernst zu nehmender Gegner waren - und durchkommen.
Hartmut Kristen: Wenn unsere Autos heil im Ziel sind, wir konkurrenzfähig waren und wenn wir auch nach sehr selbstkritischer Prüfung keinen vermeidbaren Fehler in unserem eigenen Handeln finden. Und wir müssen besser werden als im vergangenen Jahr. Gleich gut zu sein, reicht in diesem Jahr nicht mehr.

Welche ist die schwerste der 24 Stunden?
Fritz Enzinger: Der Tagesanbruch am Sonntag. Wenn die Sonne kommt, sofern sie denn kommt, und wärmt, spürt man die Müdigkeit. Aber dann ist es noch ein weiter Weg bis zum Ziel um 15.00 Uhr.
Hartmut Kristen: Wie in jeder Nacht, die man durchmacht: So gegen drei Uhr morgens meldet sich der Körper. Aber das ist in Le Mans egal, das steckt man weg.

Fritz Enzinger
Fritz Enzinger

Wie halten Sie und Ihre Mannschaft sich wach? Kann man das vorher trainieren?
Fritz Enzinger: Man kann einiges tun, um gute Voraussetzungen zu schaffen. Wir haben in Weissach ein Fitnesszentrum eingerichtet, wo sich die Mannschaft körperlich vorbereitet. Der Zuspruch ist enorm. Und wir haben auch ein professionelles Programm für die mentale Vorbereitung. Die Fahrer haben individuelle Trainingsprogramme.
Hartmut Kristen: Man kann zumindest dafür sorgen, dass man nicht schon mit einem Schlafdefizit antritt und körperlich fit ist. Der Rest ist Adrenalin.

Was werden Sie am Tag danach tun?
Fritz Enzinger: Das ist sehr ergebnisabhängig … Egal, was es sein wird: Ich hoffe, ich bin gut drauf dabei.
Hartmut Kristen: Ich werde wie immer am Montag um fünf Uhr aufstehen und heimfahren. Idealerweise mit einem Beifahrer, mit dem ich das Rennen besprechen und aufarbeiten kann.

Wie oft schauen Sie während des Rennens auf die Uhr?
Fritz Enzinger: Ständig. Aber nicht auf die Armbanduhr, sondern auf den Zeitenmonitor.
Hartmut Kristen: Bis zum Start sehr häufig, da läuft der Countdown. Dann geschätzte 22 Stunden deutlich seltener. Die Fahrerwechsel werden zum Rhythmus des Zeitmessens, das ersetzt quasi die reale Uhrzeit. Gegen Ende der 24 Stunden schaue ich wieder öfter - obwohl davon die Uhr auch nicht schneller läuft.

Was ist die größte Herausforderung während des Rennens?
Fritz Enzinger: Bei uns wird das wohl das Energiemanagement. Wir müssen mit wenig Kraftstoff möglichst schnell und möglichst weit fahren. Das ist eine neue Herausforderung, und wegen fehlender Erfahrungswerte erst einmal die größte.
Hartmut Kristen: Ruhig zu bleiben, keine Fehler zu machen, sich auf das zu konzentrieren, was man beeinflussen kann. Man muss alle Störfaktoren ausblenden oder sich ihrer entledigen, um auch in kritischen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren. Egal, wie viel Hektik ausbricht.

Sollte jeder Rennfahrer mal Sportwagen-Langstreckenrennen gefahren sein?
Fritz Enzinger: Ich weiß nicht, ob das jeder tun muss. Aber es ist die komplexeste Herausforderung. Denn der Fahrer erlebt die Leidenschaft und die Anstrengung des eigenen Fahrens genau wie in der Formel 1, aber er ist nicht nur vom Team abhängig, sondern eben auch ganz direkt von seinen Fahrerkollegen.
Hartmut Kristen: Ich bin auch nicht so vermessen zu sagen, nur wer das gemacht hat, ist ein großartiger Rennfahrer. Aber die Herausforderung ist in vielerlei Hinsicht besonders. Le Mans ist keine Veranstaltung für Solisten. Und: Le Mans ist nur ein Mal im Jahr. Wenn etwas schiefgeht, hat man nicht die Chance, es in 14 Tagen wiedergutzumachen.

Hartmut Kristen
Hartmut Kristen

Was lernt eine Ingenieursmannschaft aus dem Motorsport?
Fritz Enzinger: Teamarbeit und Einsatz am Limit. Und insbesondere unter dem neuen LMP1-Reglement stellen sich die Inge­nieure einer Technologie auf allerhöchstem Niveau. Porsche hat sich ganz bewusst jetzt, zum Inkrafttreten der neuen Effizienzformel, für die Rückkehr in die Topkategorie entschieden, weil dies das größte Potenzial für zukünftige Serienfahrzeuge hat.
Hartmut Kristen: Unser Entwicklungszentrum in Weissach ist durch den Sport permanent up to date und gefordert, aus dem bestehenden Konzept das Maximum herauszuholen, um wettbewerbsfähig zu sein. Im GT-Bereich ist die Referenz ja immer das Straßenauto. Wir müssen in kurzer Zeit und mit begrenzten Ressourcen viel erreichen.

... und was hat der Porsche-Kunde davon?
Fritz Enzinger: Er profitiert ganz grundsätzlich davon, wenn sich das Unternehmen der Herausforderung Motorsport stellt. Unter solchem Leistungsdruck wird mit maximaler Effizienz entwickelt, der Prüfstand für Neuentwicklungen ist öffentlich. Diese Messbarkeit der eigenen Leistung und der Produktivität als Team fasziniert mich am Rennsport. Im Fall des 919 Hybrid ist der Kundennutzen eindeutig Programm des ganzen Projekts. Innovationen wie die Abgas-Energierückgewinnung haben eine Zukunft in der Serie.
Hartmut Kristen: Die Effizienzsteigerung ist eine große Aufgabe. Man wird zwar kaum Bauteile 1:1 in die Serie übernehmen können, aber eben bedeutende Erkenntnisse übertragen. Zum Beispiel, wie bei seriennahen Autos Abtrieb erzeugt wird. Die große Herausforderung ist hier, möglichst viel Abtrieb zu erzielen, ohne dadurch sehr hohen Luftwiderstand zu erzeugen - die gleiche Aufgabenstellung wie bei unseren Rennwagen. Und da sieht man dann bei den Bugteilen deutliche Ähnlichkeiten.

Porsche und Porsche – zwei Rennen in einem

Gemeinsame Weltmeisterschaft, gemeinsame Denke, gleicher Auftrag, aber eigene Strategien: Fritz Enzinger und Hartmut Kristen leiten die beiden Werksteams von Porsche in der Sportwagen-WM. Für den 919 Hybrid in der LMP1-Klasse und den 911 RSR in der GT-Kategorie gelten unterschiedliche Regeln. Außerdem wird der 919 Hybrid so viel schneller sein, dass er den 911 RSR überrunden wird. Beide Teams fahren ihr eigenes Rennen.

Die RSR-Truppe von Hartmut Kristen hat gegenüber der neu formierten Mannschaft von Fritz Enzinger einen gewaltigen Erfahrungsvorsprung. Es ist ungewöhnlich, dass ein Hersteller mit zwei Werksteams in unterschiedlichen Klassen antritt. Manchmal kann der Informationsaustausch helfen. Aber noch viel wichtiger ist die Konzentration auf die eigenen Abläufe, und dass man sich nicht versehentlich gegenseitig behindert. Deshalb haben die beiden Porsche-Werksteams bewusst keine Boxen direkt nebeneinander.

Interview: Heike Hientzsch
Fotografie: Peter Heck