Porsche - Brüder im Kreise

Brüder im Kreise

In Le Mans teilen sie sich 24 Stunden lang die Strecke: der Porsche 911 RSR und der neue Porsche 919 Hybrid. Beide sind Werksrennwagen. Der eine steht für Evolution, der andere für Revolution.

Satt steht dieser Elfer da. Breit und tief. Muskelbepackt und einschüchternd. Man glaubt den Vierliter-Sechszylinder zu hören, das Kopfkino spult Rennszenen ab. Zieldurchfahrten wie bei den Klassensiegen 2013 in Le Mans oder 2014 in Daytona. Der Porsche 911 RSR ist eine Granate. Während der Elfer auch in seiner radikalsten Rennauslegung ein Vertrauter bleibt, erzeugt der Prototyp 919 Hybrid bei einer direkten Gegenüberstellung eine völlig andere Wirkung.

Das Cockpit des neuen Rennwagens erinnert mehr an einen Kampfjet als an ein Auto, seine zerklüftete Silhouette ist dem Reglement und der Aerodynamik geschuldet. Der 919 hat ungefähr doppelt so viel Leistung wie der Elfer und ist ein Drittel leichter. Der Zarte ist der Starke.

Die beiden ungleichen Brüder sind 2014 gemeinsam im Werkseinsatz in der FIA-Sportwagen-Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) und bei den 24 Stunden von Le Mans. Aber jeder fährt in seiner Klasse auch sein eigenes Rennen. Der 911 RSR gilt als Mitfavorit in der stark umkämpften GTE-Pro-Klasse. Der 919 Hybrid ist Anfänger in der stärksten Kategorie, der Klasse 1 der Le-Mans-Prototypen (LMP1). Auf diese Klasse richten sich alle Augen, denn hier geht es um den Gesamtsieg. Erstmals nach 16 Jahren stellt sich Porsche wieder dieser Herausforderung.

Die Eckdaten des 919 Hybrid: 4,65 Meter lang, 1,80 Meter breit und 1,05 Meter hoch, 870 Kilogramm schwer. Kohlefaser-Monocoque und -Karosserieteile sind auf Formel-1-Niveau, Fahrwerk und Bremsen auch. Und jetzt kommt's: Dieser Hightech-Porsche hat einen Zweiliter-Vierzylindermotor. Allerdings ist dieser erstens hoch aufgeladen, und zweitens bekommt er Unterstützung von zwei Energierückgewinnungssystemen.

Neues System zur Energierückgewinnung: Der Abgasstrom treibt unter der Motorabdeckung einen Elektrogenerator an.
Porsche 919 Hybrid
Der 911 RSR (links) wirkt dominant und hat bereits Klassensiege errungen. Der Prototyp 919 Hybrid ist Anfänger und fährt um den Gesamtsieg.

Downsizing und Hybridisierung auf höchstem Niveau - so will es das neue Reglement in der Spitzenklasse der Sportwagen-Weltmeisterschaft, und das wird auch die Zukunft des Automobilbaus prägen. Porsches Vorstandsvorsitzender Matthias Müller nennt den 919 Hybrid "unser schnellstes Forschungslabor und den komplexesten Rennwagen, den Porsche bislang gebaut hat." Er sagt das mit großem Respekt - vor den eigenen Ingenieuren und vor der Konkurrenz.

Der 919 Hybrid ist ein Technologiepionier und ein Kind der Freiheit. Diesel oder Benziner, Hubraum und Zylinderanzahl, Sauger oder Turbo? Das Reglement stellt alles frei, begrenzt dafür aber die Energiemenge, die pro Runde genutzt werden darf. Der lediglich 2,0 Liter große Vierzylinder-Turbo-Verbrennungsmotor mit Benzindirekteinspritzung ist in V-Konfiguration ausgelegt. "Das bietet erstens thermodynamische Vorteile", erklärt Alexander Hitzinger, der Technische Direktor des LMP1-Projekts, "und zweitens kann der Motor dadurch tragende Aufgaben im Chassis übernehmen."

Energie wird zweifach rekuperiert: thermodynamisch, indem der Abgasstrom außer dem Turbolader noch eine Art Dynamo antreibt - eine neue Technologie mit großem Zukunftspotenzial. Und kinetisch über einen Generator an der Vorderachse, der wie im 918 Spyder Brems- in elektrische Energie verwandelt. Ruft der Fahrer die in flüssigkeitsgekühlten Lithium-Ionen-Batteriepacks zwischengespeicherte Energie wieder ab, wandelt sich der Generator zum E-Motor und treibt die Vorderräder an. Dann wird der 919 Hybrid temporär zum Allradler.

Wann und wie lange der Extraschub eingesetzt wird, zählt für Hitzinger zu den Kernfragen. Je nach Fahrer, Rennsituation und Streckenbedingung kann die Strategie variieren. Für die Hybrid-Rennwagen der Werke gibt es vier Rekuperationsklassen. Die Faustformel: Je leistungsfähiger die Hybridsysteme, desto weniger Kraftstoff darf eingesetzt werden. Am Beispiel einer 13,6 Kilometer langen Runde in Le Mans erklärt, darf man in der höchsten Rekuperationsklasse pro Runde acht Megajoule abrufen, muss dafür aber mit 4,64 Liter Benzin auskommen. In der Zwei-Megajoule-Klasse stehen pro Runde 5,04 Liter Benzin zur Verfügung. Die LMP1-Rennwagen sollen 2014 bis zu 30 Prozent weniger Kraftstoff verbrauchen als noch vor Jahresfrist.

Der 919 Hybrid schlägt auch mit seinem Namen den Weg in die Zukunft ein. Er stellt den direkten Bezug zum Straßensupersportwagen 918 Spyder her und treibt dessen Credo der Effizienz auf der Rennstrecke weiter. Gleichzeitig greift er die Tradition des Le-Mans-Siegers Porsche 917 auf.

Während sich die LMP1-Mannschaft ihren Rahmen weitgehend selbst gesteckt hat, kam dieser beim Elfer in Form einer Rohkarosse an. Sie lief in Zuffenhausen vom Band und hätte einen tollen 991 Carrera 4 abgegeben, doch das Schicksal meinte es noch besser: 911 RSR hieß die Zukunft des Chassis.

Die Le-Mans-Kategorie GTE-Pro ist echter Werksrennsport. Entsprechend hoch ist der Aufwand, mit dem die Ingenieure um Marco Ujhasi den neuen Heckmotor-Rennwagen aufbauen. Allein die Bearbeitung der Rohkarosserie verschlingt 200 Mannstunden, bis der Vorderwagen für die Aufnahme von Kühler und Tank vorbereitet ist, die Aufnahmen der Radaufhängung verstärkt sind und die Sicherheitszelle eingeschweißt ist. Als tragendes Element erhöht sie die Steifigkeit des Chassis um deutlich mehr als 50 Prozent. Dennoch wird mit jedem Gramm gegeizt. ",Viel hilft viel' gilt im Rennsport nicht", sagt Ujhasi. "Unsere Maxime lautet: Weniger ist mehr!"

Ziel ist es, das Regelgewicht von 1245 Kilogramm sogar zu unterbieten, um die Differenz mit vorteilhaft platziertem Ballast für eine bessere Schwerpunktlage ausgleichen zu können. Denn die Gewichtsbalance beeinflusst das Handling und den Reifenverschleiß des Heckmotor-Sportwagens entscheidend. Darum verlagert Ujhasi beispielsweise auch Komponenten wie etwa den Zusatzöltank nach vorn.

Und die Entwicklung steht nicht still - trotz des Le-Mans-Klassensiegs im Vorjahr. Für die neue Saison nahmen sich die Porsche-Konstrukteure insbesondere die Aerodynamik noch mal vor. "2013 hatten wir an der Vorderachse fast schon zu viel Abtrieb", erläutert Ujhasi. "Das konnten wir durch einen breiteren Heckflügel wieder ausbalancieren."

Es sind Details, die erst auf der Rennstrecke für Erfolg sorgen - und dann in die Serie einfließen. Wie etwa der vordere Spoilerflap und die leichte Polycarbonat-Heckscheibe, die künftig auch den 911 GT3 RS kennzeichnen werden. Oder die starre Aufhängung des rund 345 kW (470 PS) starken Sechszylinders. Sie diente als Vorlage für die dynamischen Motorlager, die Ujhasi für GT3 und GT3 RS entwickelt hat: "Was in den GTE-Autos funktioniert, davon profitieren wenig später auch unsere Kunden."

Die Optik des neuen 911 RSR ist geprägt von weit ausgestellten Kotflügeln und tief liegenden Kühlluftschächten in der Front.

Relevanz für die Serie und damit der Kundennutzen sind oberstes Gebot. Maximale Sportlichkeit bei höchster Effizienz verdichten sich zum Markenkern "Porsche Intelligent Performance". Die ersten Buchstaben dieser drei Worte prägen folgerichtig das einheitliche Design der beiden Werksrennwagen. Als Paradebeispiel für diese Philosophie sind sie Brüder im Geiste - und im Kreisverkehr auf der Rennstrecke.

World Endurance Championship (WEC) 2014
20.04. Silverstone (GB), 6 Stunden
03.05. Spa-Francorchamps (BE), 6 Stunden
14./15.06. Le Mans (FR), 24 Stunden
20.09. Austin (Texas, USA), 6 Stunden
12.10. Fuji (JP), 6 Stunden
02.11. Shanghai (CN), 6 Stunden
15.11. Sakhir (BHR), 6 Stunden
30.11. São Paulo (BR), 6 Stunden

Technik im Detail

Kühlbedarf und Sicherheitsvorschriften: natürliche Feinde des Aerodynamikers

Aerodynamische Effizienz bedeutet: maximaler Anpressdruck für hohe Kurvengeschwindigkeiten und stabile Straßenlage bei minimalem Luftwiderstand. Die Vorschrift, dass ab 2014 nur noch geschlossene Cockpits erlaubt sind, kommt Aerodynamikern entgegen. Über eine glatte Kuppel lässt sich der Luftstrom viel präziser Richtung Heckflügel lenken als durch eine zerklüftete Öffnung, in der sich ein Fahrerhelm bewegt. Auf die riesige Finne über der Motorabdeckung könnten die Strömungstechniker hingegen gut verzichten. Je nach Fahrsituation erhöht sie die Seitenwind-Sensibilität. Die andere Seite derselben Medaille ist, dass sie bei einem Unfall als Bremse wirkt. Vor allem als Maßnahme gegen das schnelle Eindrehen der Fahrzeuge ist sie Vorschrift geworden. Die großen Öffnungen im Radkasten irritieren die Anströmung von Kühler und Heck. Aber sie reduzieren auch die Angriffsfläche für Unterluft und damit das Risiko, dass die Fahrzeuge abheben.

Aerodynamik: Die riesige Finne und die Öffnungen im Radkasten sind der Sicherheit geschuldet.

Der Antrieb: Verbrenner im Heck, KERS (Kinetic Energy Recovery System) an der Vorderachse, ERS (Energy Recovery System) am Abgastrakt.

Text: Klaus-Achim Peitzmeier
Fotografie: Christoph Bauer