Porsche - Alles geregelt

Alles geregelt

In Le Mans starten am 14. Juni 56 Autos in vier Klassen, Porsche ist in dreien vertreten. Das neue Reglement für die Topkategorie der Prototypen ist eine Revolution: Schiere Leistung war gestern, jetzt zählt maximale Effizienz.

01 Klasse
Die Topkategorie der vier Klassen in Le Mans heißt LMP1, die drei Buchstaben stehen für "Le Mans Prototype". Dazu zählt der neue Porsche 919 Hybrid. Innerhalb der Topklasse LMP1 gibt es noch eine weitere Unterteilung: Für Hersteller ist Hybridisierung Pflicht (LMP1-H), Privatteams (LMP1-L wie Light) dürfen konventionelle Antriebe verwenden. Die zweitschnellste Klasse heißt LMP2, dort tritt kein Porsche an. In der Klasse GTE-Pro will Porsche mit dem 911 RSR den Klassensieg vom Vorjahr wiederholen, 2013 gelang sogar ein Doppelerfolg. "Pro" unterscheidet bei den serienbasierten Rennfahrzeugen den Profi vom Amateur. In der Klasse GTE-Am (Amateur) startet zum Beispiel Patrick Dempsey mit seinem 911 RSR.

02 Revolution
Im technischen Reglement für Le Mans wird für jede Klasse definiert, was erlaubt ist und was nicht. In den GT-Klassen geht es im Prinzip darum, was vom Straßenfahrzeug abweichen darf. Bei den Prototypen, denen die Basis eines straßenzugelassenen Fahrzeugs fehlt, ist die Sache komplizierter. Und 2014 sind die Regeln für die Topliga geradezu revolutionär: Mit einem Zwang zur Verbrauchsreduzierung machen die Regelmacher der Fédération Internationale de l'Automobile (FIA) und des Automobile Club de l'Ouest (ACO) die schnellsten Sportwagen der Welt fit für die Zukunft. Das Reglement fördert reduzierten Hubraum (Downsizing), innovative Hybridisierung und Leichtbau.

03 Freiheit
Um den Forschungsdrang anzustacheln, wurden die Ingenieure zu einer nie da gewesenen Freiheit in der LMP1-H-Klasse "verurteilt". FIA und ACO verzichteten darauf, ein einheitliches Hybridsystem vorzuschreiben. Auch sind weder Hubraum noch Zylinderzahl limitiert. Diesel oder Benziner, Turbo ja oder nein - die Entscheidungen sind frei. Ob ein oder zwei Rückgewinnungssysteme, ob Batteriespeicher, Ultrakondensator oder Schwungrad, alles nach Belieben. So tüfteln die Ingenieure bei Audi, Toyota und Porsche um die Wette, wägen Vor- und Nachteile aller Parameter gegeneinander ab. Die drei Unternehmen sind zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Erst die Rennsaison wird zeigen, welches Konzept das pfiffigste ist. Womöglich fällt das Ergebnis sogar streckenspezifisch unterschiedlich aus. Bei Porsche stand ein Gewinner schon vor dem ersten Rennen fest: die Entwicklungsabteilung - damit auch der Serienbau der Zukunft und somit der Kunde.

04 Kraftstoff
Bei der Konzeption des Verbrennungsmotors hat sich Porsche für einen Weg entschieden, der zur DNA der Marke passt: Ein Benziner befeuert den neuen Porsche 919 Hybrid, und zwar ein extrem kompakter und hoch aufgeladener Zweiliter-V-Vierzylindermotor mit Direkteinspritzung. Bezüglich hocheffizienter Verbrennung in einem Downsizing-Motor stand der Straßensupersportwagen 918 Spyder Pate. Neben der Standfestigkeit ist die maximale Energieausnutzung der entscheidende Faktor bei den Langstrecken­rennen der Sportwagen-Weltmeisterschaft 2014. 24 Stunden beträgt die Renndauer in Le Mans, sechs Stunden bei den übrigen sieben Läufen.

05 Kampfgewicht
Innerhalb der LMP1-H-Liga ist das Fahrzeuggewicht vom Reglement auf mindestens 870 Kilogramm festgelegt. Mindestens heißt für Ingenieure gleichzeitig höchstens, denn jedes zusätzliche Gramm bringt einen Wettbewerbsnachteil. Allerdings sind Energierückgewinnungssysteme mit Elektromotoren und Speichermedien immer noch schwere Kost, wenngleich auch hier die Motorsportentwicklung neue Maßstäbe setzt. In der Konsequenz ist das Gesamtfahrzeug feinster Leichtbau. Kohlefaser-Monocoque, Alu-Motor, Carbonstruktur fürs Getriebe, Detailarbeit. Dabei darf der Leichtbau weder zulasten der Standfestigkeit geschweige denn der Sicherheit gehen.

06 Boost
Die höchste Rekuperationsklasse ist die 8-Megajoule-Kategorie. Maximal 8 MJ pro 13,6 Kilometer langer Runde in Le Mans darf abrufen, wer über entsprechend leistungsstarke Rückgewinnungssysteme verfügt. Das Zuschalten der zwischengespeicherten Energie nennt man "Boost". Als Ausgleich zum Boost beschränkt das Reglement den Kraftstoff für die Verbrennungsmotoren. Rechts die Beispielrechnung für eine Runde in Le Mans.

07 Megajoule
Ziel der festgelegten Verbräuche in der LMP1-H-Klasse ist es, die verschiedenen Antriebskonzepte auf ein Wettbewerbsniveau zu bringen. Es soll ja nicht nur in der Forschung, sondern auch im Rennen spannend werden, wenn zum Beispiel ein 6-MJ-Benziner (919 Hybrid) gegen einen 2-MJ-Diesel kämpft.

Rückgewinnung Benzin Diesel
2 Megajoule 5,05l 3,95l
4 Megajoule 4,92l 3,85l
6 Megajoule 4,79l 3,75l
8 Megajoule 4,74l 3,66l
Stand: 8. April 2014

08 Chancen
Zwei Faktoren sollen die Äquivalenz zwischen Benziner und Diesel herstellen. Der eine heißt K Technology Factor, der andere Fuel Technology Factor. Der Technologie-Faktor muss ausgleichen, dass ein Auto mit einem an sich schwereren Dieselmotor nur ein relativ kleines Rückgewinnungssystem mitführt und dadurch einen Nachteil beim Boosten hat. Andererseits muss der "Fuel-", also Kraftstoff-Faktor, ausgleichen, dass der Ottomotor dem Diesel in Sachen Effizienz unterlegen ist. Diese beiden Faktoren wurden miteinander multipliziert, daraus ergaben sich die unterschiedlichen Obergrenzen für Energie- bzw. Kraftstoffmengen für Benziner und Diesel. Damit beide in etwa gleich oft tanken müssen, hat das Reglement auch noch die passenden Tankgrößen fürs jeweilige Konzept festgelegt. Der Einsatz von Hybridfahrzeugen in Le Mans ist nicht neu, aber im Vergleich mit der jetzt geforderten Technologie wirkt alles bislang Dagewesene wirklich gestrig. Zum Vergleich: 2013 war ein maximaler Boost von 500 Kilojoule (0,5 Megajoule) zwischen den Bremszonen erlaubt.

09 Kontrolle
Die Kontrolle der Verbrauchswerte der LMP1-H-Fahrzeuge erfolgt elektronisch. Durchflussmengenbegrenzer (Fuel Flow Meter) messen den Kraftstoffdurchfluss, weitere Sensoren erfassen die per Boost-Knopf aus den Speichern abgerufene Energie. Eine Blackbox zeichnet die Daten auf, die Rennleitung empfängt sie in Echtzeit. Wer zu viel Energie verbraucht, wird mit Zeitstrafen belegt. Der Spielraum zum Ausgleichen ist für die Teams gering: Der ACO nimmt das Mittel aus drei Runden.

Eine höhere Sitzposition für ein größeres Sichtfeld ist Pflicht.

10 Kernkompetenz
Porsche hat sich bei der Rückkehr in die Topkategorie LMP1 bei all diesen Vorgaben für folgendes Konzept der Energierückgewinnung entschieden: Das Hybridsystem besteht aus dem kleinen, aufgeladenen Verbrennungsmotor (siehe Punkt 4) und zwei Systemen zur Rekuperation. An der Vorderachse speichert der 919 Hybrid die beim Bremsvorgang frei werdende Bewegungsenergie (kinetische Energie). Fundamental neu ist das zweite System: die Rückgewinnung aus Abgasenergie. Im Porsche LMP1-H wird der Generator über eine Turbine angetrieben, die ähnlich wie ein Fahrraddynamo elektrische Energie erzeugt. Gespeichert wird diese Energie in einer mit Flüssigkeit gekühlten Lithium-Ionen-Batterie. Wenn der Fahrer sie von dort abruft, treibt ein mehrere Hundert PS starker Elektromotor damit die Vorderachse an. Der 919 Hybrid verwandelt sich beim Boosten in einen traktionsstarken und leisen Allradler. Mit der Entwicklung beider Rückgewinnungssysteme und der Speichertechnologie hat die Porsche AG zusammen mit Porsche Engineering Services (PES) die eigenen Kernkompetenzen vorangetrieben. Das Know-how ist gespeichert. Abrufbar.