Porsche - Rückkehr der Racer

Rückkehr der Racer

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Coming home: Ohne Plane über den Atlantik. Der 911 RSR steht leuchtend im Frachtraum des Cargo-Fliegers.

Der Hirsch lebt – über ein Wiedersehen nach mehr als 40 Jahren. Die wichtigsten Wagen von Jägermeister Racing – jenem Rennteam, für das von 1972 bis 2000 große Namen wie Hill und Lauda, Bellof und Stuck, Mass und Ickx an den Start gingen – hat Eckhard Schimpf wieder vereint. Ein Highlight der Sammlung kommt jetzt aus den USA: der legendäre Porsche 911 Carrera RSR, Baujahr 1974.

Der Blick geht in die Weite, die Augen suchen die Erinnerung, dann gleitet ein warmes Lächeln über das Gesicht des 77-Jährigen: „Es war wie das Wiedersehen mit einem alten Freund.“ Eckhard Schimpf steht nicht mehr auf dem Kurvenband der Rennstrecke Oschersleben – und doch glaubt man zu sehen, wie die Gedanken noch einmal über die Piste fliegen: im orangefarbenen 911 RSR von 1974.

Ortswechsel nach Braunschweig. Eine von außen nahezu komplett schwarze Halle, nur eine Zahl in Orange deutet an, was drinnen zu sehen ist: historische Rennwagen in der berühmten Lackierung des Jägermeister-Teams. Legenden einer vergangenen Epoche, und doch riecht alles ganz neu. „Wir sind noch nicht ganz fertig“, sagt Schimpf und bittet: „Keine Fotos – wir brauchen noch etwas Zeit, um alles präsentabel zu haben.“ Die Anmerkung des ehemaligen Rennleiters und Fahrers des Teams in Orange bezieht sich ausschließlich auf das Innenleben der Halle, die Wagen sind alle startklar.

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Alte Freunde: 84 Rennen fuhr Eckhard Schimpf mit seinem RSR in Orange – er holte 39 Siege.

Eckhard Schimpf ist fast am Ziel. Gemeinsam mit seinem 26 Jahre jüngeren Sohn Oliver, Vorstandschef eines Technologie-Unternehmens, will er die attraktivsten Rennwagen seines Teams zurück nach Braunschweig holen, in die schwarze Halle. „Wir haben alle wichtigen Autos zusammen“, sagt Schimpf senior und ist sichtbar zufrieden. Der Coup ist geglückt. Mehr als ein Dutzend Racer im Jägermeister-Outfit haben Vater und Sohn – unterstützt durch die Unternehmerfamilie Mast – weltweit zurückgekauft.

Hätte die Racer-Szene zu früh vom Plan der Braunschweiger erfahren, „wären die Wagen unbezahlbar“ geworden, weiß Schimpf. Ein besonderes Highlight der Sammlung ist der Porsche RSR 3.0. Mehr als achtzig Mal saß Schimpf am Steuer des radikal abgespeckten Porsche. Erst vor wenigen Wochen landete der Wagen auf dem Frankfurter Flughafen. „Das war ein Pokerspiel mit anschließender Odyssee“, formuliert Schimpf die Headline zum Projekt RSR. Worte sind sein Metier. Schimpf war kein Rennprofi, sein Job als Team-Manager und seine Auftritte als Pilot mussten mit seinem Beruf als Journalist der lokalen Braunschweiger Zeitung harmonieren. Ein toleranter Verleger und seine Leidenschaft fürs Schreiben ermöglichten den Spagat zwischen Rennstrecke und Redaktion. In beiden Fällen erfolgreich: Schimpf war später sogar sehr viele Jahre Mitglied der Chefredaktion der renommierten Tageszeitung.

2007 beginnt die Jagd nach den Jägern der Rennstrecke, und es scheint unkompliziert zu werden beim allerersten Deal. Schimpf erinnert sich noch genau, wie er und John Byrne, jener Mann, dem er seinen RSR Anfang der Achtzigerjahre verkauft hatte, vier Stunden im Hyatt-Hotel in Carmel-by-the-Sea bei Kuchen und Eis auf der Terrasse zusammensaßen. „John sagte: Du kriegst das Auto wieder.“ Erleichterung bei Schimpf, doch „dann kam ein sehr wohlhabender Chinese ins Spiel“, der den Wagen auch kaufen wollte. Nun wurde gepokert.

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Auslauf gewähren: Nach vier Jahrzehnten so vertraut wie in den Siebzigerjahren.

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Rückblick wagen: Eckhard Schimpf war Team-Manager und Fahrer bei Jägermeister Racing – jetzt sammelt er seine Erinnerungsstücke wieder ein.

„Ich habe das Verhandeln Oliver überlassen, ich war da zu emotional.“ Drei, vier Mal reiste der Sohn nach San Francisco, besuchte die Familie. Dann die Entscheidung: „Ich habe es versprochen, dabei bleibt es“, entschied Byrne schließlich. Ein zentraler Teil der Mission Rückkehr in Orange war geglückt.

Ein Telefonanruf in Braunschweig folgte. „Ein sehr intensiver Moment für mich“, erinnert sich Eckhard Schimpf, während seine Hände ein altes Rennplakat aus den Siebzigern ausrollen, das in der schwarzen Halle zwischen Originalaufklebern und Fahrerausweisen liegt. „Der Wagen war ein Teil meines Lebens“, sagt Schimpf, um im nächsten Moment das Pathos seiner Worte wieder einzufangen: „Ich will mich jetzt nicht nur auf den Rennsport reduzieren, aber es war eine wirklich intensive Zeit.“

Die Phalanx der Fahrer von Jägermeister Racing zwischen 1972 und dem Jahr 2000 ist eindrucksvoll, ein Who’s who der Rennelite. Graham Hill, zweifacher Weltmeister, machte den Anfang. Ihm folgten Vic Elford, Niki Lauda, natürlich Hans-Joachim Stuck, Stefan Bellof, Ronnie Peterson, Jochen Mass und Jacky Ickx. Weit über hundert Piloten. Vom Bergrennen bis zur Formel 1 – Eckhard Schimpfs Team startete in allen populären Klassen. Und Schimpf selbst mittendrin. Finanziert durch seinen Cousin Günter Mast, den Chef der Kräuterschnaps-Fabrik. „Ich habe für meine Aufgabe als Team-Manager nie Geld erhalten – ich durfte Rennen fahren, dabei sein, das genügte mir“, beschreibt Schimpf den familieninternen Deal.

Und dann sagt dieser Mann mit den weißen, leicht gewellten Haaren einen irritierenden Satz: „Ich war ein Rennfahrer ohne Ehrgeiz.“

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Vertraute Freunde: Das Wissen, wie der Wagen funktioniert, ist sofort wieder da, es lag griffbereit irgendwo ganz hinten im Kopf.

Schimpf spricht meist eher leise, vor allem, wenn es wichtig wird. So auch jetzt. Er habe schnell gewusst, dass ihm etwas fehlt, um ein ganz großer Fahrer zu werden. Diese letzte, todesmutige Konsequenz, eine Prise Wahnsinn wohl. „Aber ich liebte diese Atmosphäre, ich war dabei. Ich startete im selben Rennen wie die Top-Fahrer – und schlecht war ich ja auch nicht“, relativiert er seine Bescheidenheit zu einer tatsächlich berechtigten Objektivität. Schimpf hat vor allem am Berg häufig gesiegt, sich aber auch auf der Rundstrecke oft weit vorne platziert. Ein wirkliches Talent, ganz sicher.

„Ich habe es genossen, Rennfahrer zu sein. Ich habe es genossen, Teil dieser Truppe zu sein.“ Jetzt leuchten seine Augen, die Sätze kommen schnell, haben eine Melodie – jetzt verbindet sich der Mann der Worte mit dem Mann des Asphalts. Die Fahrer waren eine Gemeinschaft. Am Abend vor dem Rennen traf man sich. „Das waren dann vielleicht 16 oder 18. Wir gingen zusammen zum Essen, und am nächsten Tag war Autorennen.“ Der Sammler und Jäger schwärmt: „Keiner, der nicht selbst hinterm Steuer saß, kennt diese Momente.“ Und dann der Start: Wenn der Pulk auf die erste Kurve zudonnert – „das ist ein Bild, das kann keiner nachempfinden, der am Rand steht.“ Schimpf beschleunigt seine Sprache: „Die Spitzenfahrer sind um dich herum, du siehst neben dir den Stuck oder den Lauda, Wollek oder Stommelen – sagenhaft.“

1982 entscheidet der Teilzeit-Racer: „Ich hör auf.“ Er hängt den Rennanzug an den Nagel. Die Gefahr war ihm immer bewusst, „aber ich hatte es für mich ausgeschlossen“, bis zu diesem Moment, beim 1000-Kilometer-Rennen. Schimpf lag gut im Rennen auf der Nordschleife, als er angesichts des Sprunghügels hinterm Pflanzgarten plötzlich denkt: „Was mache ich hier eigentlich? Wenn jetzt was kaputt geht, bin ich mausetot.“ Im gleichen Augenblick war die Entscheidung gefallen. Auf seine Performance an diesem Tag hat sie jedoch keinen Einfluss: In seinem letzten ernsthaften Rennen wird der Braunschweiger Vierter.

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Lebendige Legende: Seine vierzig Jahre und Tausende Rennkilometer spürt man keinen Moment, wenn der RSR durch die Kurven jagt – dank 330-PS-Boxer mühelos und gewaltig.

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„Das ist ein Teil meines Lebens – ein sehr schöner Teil.“

Er fährt das Rennen zu Ende, steigt ins Auto Richtung Braunschweig und sagt – wahrscheinlich sehr leise – zu seiner Frau Heidi: „Jetzt reicht es.“ Der Abschied gelingt überraschend leicht. „Ich spürte, dass ich auch körperlich an der Grenze war.

Zeitsprung in die Gegenwart. Oschersleben, die Realität rastet ein – und das ist wörtlich zu verstehen. Eckhard Schimpf sitzt mit Helm und Rennanzug in seinem RSR und schaltet die Gänge durch. Jede Bewegung kennt ihren Ablauf. Sohn Oliver hatte den Vater gewarnt: „Er hat mir gesagt, der Wagen sei fast unfahrbar. Die Gänge reinzukriegen sehr heikel, alles sehr unpräzise, die Schaltwege kaum zu finden.“ Eckhard lächelt, sehr zufrieden, seine Stimme wird leise: „Ich war sofort wieder ein Teil des Autos“, sagt er. Wiedersehen mit einem Freund.

Schimpf geht raus auf die Strecke. 14 Kurven auf etwas mehr als dreieinhalb Kilometern. „Alles war sofort wieder da“, beschreibt er hinterher das Wiedererkennen. „Ich bin rein in den Wagen, ich hab die Gänge rauf- und runtergeschaltet – zack, zack waren sie drin.“ Irgendwo hinten im Kopf, ganz tief, war das Wissen um die Eigenarten des RSR abgelegt, unsichtbar, aber sofort abrufbar. Lebenswissen.

Sichtbar sind kleine vertraute Hinweise. Zum Beispiel jenes gelbe Klebeband als Markierung am Lenkrad. Eine Orientierung, wann die Räder gerade stehen.

Die 330 PS röhren – der Hirsch lebt.

Autor Edwin Baaske
Fotograf Theodor Barth