Porsche - Auf den Spuren der Kurven.

Auf den Spuren der Kurven.

718 Cayman S (WLTP)*
10,3 – 9,6
l/100 km
235 – 217
g/km
G
Klasse
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Straße mit Geschichte: Vor 110 Jahren startete die Targa Florio zum ersten Mal. Bei der Premiere betrug die Distanz exakt 444 Kilometer.

Zum einhundertsten Mal startete in diesem Jahr auf Sizilien die Targa Florio. Der Porsche 718 Cayman S ist der ideale Sportwagen, um dem pittoresken Straßenrennen auf der Ideallinie zu folgen; schon sein historisches Vorbild brillierte auf dem 72 Kilometer langen Rundkurs.

Die Bewohner des kleinen sizilianischen Dorfes Cerda staunen nicht schlecht, als sich am Morgen des 6. Mai 1906 zehn qualmende und dröhnende Rennwagen auf ihrer staubigen Landstraße versammeln. Die ambitionierten Herrenfahrer in ihren gewaltigen Ungetümen sind einer Einladung des sizilianischen Weinhändlers und begeisterten Automobilisten Vincenzo Florio auf die Insel gefolgt. In zehn Minuten Abstand donnern sie von Cerda aus den Berg hinauf. Es ist ein Marathon für Menschen und Maschinen. Drei Runden zu je 148 Streckenkilometern sind zu bewältigen. Nach neun Stunden und 32 Minuten überquert Alessandro Cagno auf seinem mächtigen Itala-Rennwagen als Erster die Ziellinie – und holt sich damit den Titel des ersten Targa-Florio-Siegers.

110 Jahre sind seit diesem geschichtsträchtigen Frühlingsmorgen vergangen. 100 Mal ist die Targa Florio ausgetragen worden. Auf wechselnden Strecken – mal in zahllosen Runden auf einer halsbrecherischen Berg-und-Tal-Route, mal über mehr als 1000 Kilometer rund um die Insel. Ein echtes Abenteuer war das Straßenrennen immer. Und eine ultimative Herausforderung für die ambitioniertesten Fahrer und besten Rennwagen der Welt, denn war auf den Serpentinen am Berg vor allem Agilität und Leichtbau gefragt, zählte auf den langen Geraden entlang der Mittelmeerküste die schiere Geschwindigkeit. Wer hier siegte, schrieb Geschichte. Auch für Porsche war die Targa Florio neben Le Mans und dem Nürburgring ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu internationalem Rennsportruhm. Und ein kurviges Entwicklungslabor für immer schnellere und agilere Mittelmotorsportwagen.

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Der 718 Cayman S trägt die Typenbezeichnung des dreifachen Targa-Florio-Siegers.

Bis heute sind die Bergstraßen Siziliens ein raues Pflaster. Wer hier Kurven schneiden und Sekunden jagen will, benötigt eine ordentliche Portion Zähigkeit – und eine kompromisslos bissige Fahrmaschine. Einen „Little Bastard“, um es mit dem großen Porsche-Piloten James Dean zu sagen. Was könnte es also für ein besseres Sportgerät geben, um die geschichtsträchtigen Kurven auf den Spuren der Targa Florio zu erkunden, als eines der ersten Exemplare des neuen Porsche 718 Cayman S? Schließlich trägt das puristische Coupé nicht nur die legendären Kennziffern des Targa-Florio-Siegers von 1959, 1960 und 1963 auf dem Heck. Es hat vom kompakten Vierzylinder bis hin zur außergewöhnlichen Fahrdynamik und Stabilität auch sonst viel mit dem legendären Rennwagen gemein.

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Berg-und-Tal-Fahrt: Rund 900 Kurven, Kehren und Schwünge zählt der Targa-Florio-Rundkurs.

Im Mai 1959 ist die Targa Florio zum wiederholten Male fester Bestandteil der Sportwagenweltmeisterschaft – und der Startpunkt bei Cerda gleicht einem Rummelplatz: Alle wichtigen Teams des Motorsports sind angereist, mehr als 50 Rennwagen stehen parat, um auf den halsbrecherischen Serpentinenstraßen ihre Kräfte zu messen und wichtige Wertungspunkte zu sammeln. Rennfahrer, Teamleiter, Mechaniker und Zuschauer laufen zwischen den Autos umher, der Motorendonner hallt von den felsigen Berghängen zurück, es duftet nach Gummi, Kupplung, Öl und Benzin. Als sichere Favoriten des Rennens gelten die drei neuen Zwölfzylinder-Sportwagen der Scuderia Ferrari, mit Fahrern wie Phil Hill, Dan Gurney und Olivier Gendebien prominent besetzt. Auch die Unterstützung der lokalen Zuschauer, die dem Spektakel entlang der frei zugänglichen Strecke entgegenfiebern, ist Enzo Ferraris Team sicher. Doch es kommt anders: Die hubraumstarken Ferrari 250 TR haben kein Glück und fallen einer nach dem anderen mit technischen Problemen aus.

Ganz anders beim großen Widersacher Porsche: Mit dem kompakten Mittelmotor-Rennwagen 718 RSK haben die Zuffenhausener ein besonders leichtes und wendiges Sportgerät entwickelt, das gerade einmal 530 Kilo auf die Waage bringt und dessen Vierzylinder-Triebwerk aus 1,5 Liter Hubraum immerhin 148 PS Leistung schöpft. Der agile Nachfolger des bereits 1956 bei der Targa Florio siegreichen Porsche 550 A Spyder hat sein Potenzial schon in der Saison 1958 bewiesen und sowohl in Le Mans als auch bei der Targa Florio einen Podiumsplatz eingefahren. Auch an diesem Morgen gehen in Cerda zwei der spurtstarken Spyder an den Start: Nummer 112 mit Edgar Barth und Wolfgang Seidel am Steuer und Nummer 130 mit Joakim Bonnier und Wolfgang Graf Berghe von Trips. Trips übernimmt mit schnellen Reifen die Führung, muss aber tragischerweise in der letzten Runde aufgeben. So sind es Barth und Seidel, die nach nur elf Stunden und zwei Minuten, dicht gefolgt von drei weiteren Werks-Porsche, den sizilianischen Supersieg einfahren. Eine Schmach für Ferrari.

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Purismus und Beweglichkeit: Mit vier Zylindern besinnt sich der 718 Cayman S auf sein historisches Vorbild – und meistert die Kurven gewohnt souverän.

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Targa-Florio-Kult: Im kleinen Ort Collesano befinden sich das Museo Targa Florio und ein Mosaik zu Ehren der legendären Targa-Florio-Piloten.

Ein wenig Ehrfurcht durchzuckt mich, als ich das miamiblaue 718 Cayman Sportcoupé vor den alten Boxen und Zuschauertribünen am Rande der Landstraße nach Cerda zum Stehen bringe. Schließlich haben in dieser Kurve schon Tazio Nuvolari, Juan Manuel Fangio, Jo Siffert und Vic Elford – also fast alle großen Rennfahrerlegenden des 20. Jahrhunderts – gestanden, Zigaretten geraucht und mit den Rennmechanikern gescherzt. Während ich andächtig den alten Zeiten nachhänge, prügelt die Landjugend einen verbeulten Kleinwagen mit so viel Verve über den rissigen Asphalt an mir vorbei, als säße ihr der rasende Schulleiter und dreifache Targa-Gewinner Nino Vaccarella persönlich im Nacken. Gelebte Erinnerungskultur auf Sizilianisch, sozusagen. Und für mich das Zeichen, auch den Motor meines Kurvenjägers auf Betriebstemperatur zu bringen.

Mit vier statt der bisherigen sechs Zylinder besinnt sich der neue Porsche 718 Cayman S auf sein historisches Vorbild, das frei nach dem Prinzip David gegen Goliath mit Purismus und Beweglichkeit gegen die schiere Literleistung seiner Konkurrenten antrat. Wichtigster Unterschied: Dank Turbo-Power spart das Mittelmotor-Sportcoupé nicht an Kraft – im Gegenteil. Das S-Modell, mit dem ich nun der Spur der Targa Florio in geschwungenen Kurven den Berg hinauf folge, schöpft aus 2,5 Liter Hubraum ganze 350 PS. Noch eindrucksvoller liest sich das Drehmoment: Bereits knapp 2000 Touren drücken 420 Newtonmeter auf den Asphalt. Die Antriebstechnik mit variabler Turbinengeometrie, die für den bis 4500 Touren verfügbaren Boost verantwortlich ist, war bisher ausschließlich dem 911 Turbo mit seiner Düsenjet-Beschleunigung vorbehalten. Der Schub auch im 718 ist beachtlich, der Turbo pfeift dazu so bösartig, wie man es von einem Porsche gar nicht gewohnt ist. Nur leider hat die Pflege der sizilianischen Infrastruktur mit dem technischen Entwicklungstempo in Weissach nicht mitgehalten: Schon nach wenigen Kilometern wird die Straße so schadhaft, dass der Cayman im Stil eines Rothmans-Porsche 959 bei der Rallye Paris – Dakar aufgebockt werden müsste, um die Unversehrtheit des jungfräulichen Unterbodens nicht zu gefährden. Aber selbst im Slow-Motion-Slalom um bombenkratertiefe Schlaglöcher gibt sich der Wagen äußerst agil.

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Klassische Kulisse: Das Ambiente der Targa Florio ist auf nahezu jedem Kilometer ein Genuss.

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Chapeau! Selbst geparkt sieht der 718 Cayman S wie ein sportlicher Kurvenfahrer aus.

Die 72 Kilometer lange klassische Runde der „Piccolo circuito delle Madonie“, der ich folge, führt zunächst vom Startplatz in Cerda entgegen dem Uhrzeigersinn über einen 500 Meter hohen, mit krummen Bäumen und wildem Dickicht bewachsenen Hügel, dann wieder hinunter ins Tal, um auf verschlungenen Bergstraßen erneut an Höhe zu gewinnen. Vom Städtchen Collesano im Osten, in dem sich die meistfotografierte Kurve der Targa Florio befindet, geht es schließlich wieder hinab, und zwar nach Campofelice di Roccella und weiter bis an die Küste, wo nach dem wilden Kurvenreigen die Buonfornello-Gerade auf die Fahrer wartet. Wer hier den Fuß vom Gas nimmt, hatte die Targa Florio praktisch schon verloren. Geschwindigkeiten deutlich über Tempo 300 waren auf der schmalen, zweispurigen Landstraße durchaus normal. Eine letzte scharfe Linkskurve führt zurück in die Box. Die schnellsten Fahrer benötigten für die halsbrecherische Berg-und-Tal-Fahrt knapp über 30 Minuten.

Wie sich wohl der neue Porsche 718 Cayman zwischen all den historischen Rennwagen geschlagen hätte? So modern das Sportcoupé ausgestattet sein mag, so ist er doch eine puristische, auf die wesentlichen Kompetenzen beschränkte Fahrmaschine. Mit einem Dreh am Fahrprogramm-Schalter am Lenkrad wechsle ich vom Sport-Modus in die noch straffere Gangart Sport Plus. Edgar Barth und Wolfgang Seidel hätten heute wohl die frei einstellbare Individualkonfiguration gewählt. Auf den knapp 900 Kurven des Kurses zeigt der neue 718, welche DNA er mit seinem Vorbild gemein hat. Der Cayman liegt nicht nur unglaublich satt in den Kurven, hinter denen nicht selten der Abgrund wartet, er ist auch verblüffend agil und präzise entlang der Ideallinie zu dirigieren. Im Vergleich zum Vorgängermodell haben die Ingenieure das Fahrwerk komplett neu abgestimmt, Federn und Stabilisatoren straffgezogen, die Lenkung direkter ausgelegt und die Hinterräder um ein halbes Zoll verbreitert.

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Mit dem 718 W-RS Spyder fuhren Umberto Maglioli und Giancarlo Baghetti im Jahr 1963 auf Platz 7 des Gesamtklassements.

Der klassische Porsche 718 konnte sich bei der Targa Florio insgesamt drei Mal behaupten: nach 1959 noch 1960 in seiner nächsten Evolutionsstufe, als hubraumstärkerer RS 60, mit Jo Bonnier und Hans Herrmann am Steuer. Und 1963 mit dem 718 GTR. Dieses Mal teilte sich der Schwede Bonnier das Siegertreppchen mit dem Italiener Carlo-Maria Abate – sehr zur Freude des Publikums. Noch sieben Mal sollte Porsche bei der Targa Florio gewinnen. Mit großen Fahrern wie Herbert Müller, Vic Elford und Jo Siffert. Und legendären Rennwagen wie dem Porsche 904 Carrera GTS, dem 906 Carrera 6, dem 908 oder dem 911 Carrera RSR im unvergessenen Martini-Livree. Mit elf Gesamtsiegen hat bisher keine andere Marke auf Sizilien triumphiert.

Bei den letzten Auflagen der historischen Targa Florio in den 1970er-Jahren brüllten dann die brachialen, für Rennstrecken wie Le Mans gebauten Prototypenmonster durch die sizilianischen Bergdörfer – oft nur Zentimeter entfernt von den Zuschauern, die mit ihren Küchenstühlen vor den Häusern saßen. Auch das ein oder andere Federvieh ist manch gierigem Kühlerschlund zum Opfer gefallen, bevor die Targa Florio nach einigen schweren Unfällen im Jahr 1974 schließlich aus dem Weltmeisterschaftskalender gestrichen und fortan nur noch als symbolisches Rennen ausgetragen wurde. Die ultimative Herausforderung für jeden neuen Mittelmotor-Sportwagen aus Zuffenhausen bleibt die Inselrundfahrt jedoch bis heute. Auch der Porsche 718 Cayman, so scheint mir, trägt seinen Namen nach unserer „sizilianischen Taufe“ noch ein wenig stolzer am Heck.

Text Jan Baedeker
Fotos Stefan Bogner

CURVES Magazine - Targa Florio