Porsche - Lord der Linien

Lord der Linien

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Lord Norman Foster
„Wichtig ist die umfassende Würdigung der Architektur für die Gesellschaft.“

Der Baukünstler. Er denkt Häuser nachhaltig, transformiert ganze Städte, definiert Wolkenkratzer und Brücken neu. Ein Besuch bei dem wohl prägendsten Architekten der Gegenwart: Lord Norman Foster. Über Apples Neubau in Cupertino, die Einmaligkeit der Reichstagskuppel und seine innige Beziehung zu zwei Porsche 356.

Die epische Darstellung erstreckt sich über mehr als 15 Meter Länge und ragt drei Meter in die Höhe. Fäden aus 14 Farbnuancen wurden nach einer alten sumatrischen Batikmethode verwebt. Der britische Künstler Grayson Perry hat damit seine eigene Übersetzung von William Shakespeares „Seven Ages of Man“ geschaffen. Sieben Stadien im Leben eines Mannes sind zu einem Gesamtkunstwerk im Überformat versponnen. Vor dem Wandteppich parken zwei Porsche 356. Willkommen in der Garage des Stararchitekten Lord Norman Foster. Mit 85 Jahren ist er noch immer ein Energiebündel und hält das Steuer seiner Firma fest in der Hand. Ein Leben in sieben Akten.

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Reichstagskuppel
1993 erhielt Foster den Zuschlag für die Neugestaltung des Berliner Reichstagsgebäudes. Die begehbare Glaskuppel steht für Weitblick und demokratische Transparenz.

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The Gherkin
Londons erstes ökologisches Hochhaus bietet seit 2004 auf 41 Stockwerken 46.400 Quadratmeter Bürofläche zusammen mit einer Arkade von Geschäften und Cafés.

Erster Akt – Manchester

Juni 1935. Norman Foster wird in Stockport, England, geboren und wächst in der englischen Arbeitermetropole Manchester auf. Ein in Kinderjahren verfasster Essay sichert ihm den Platz an einer Highschool. Foster schildert darin ein Rennduell am Nürburgring. „Mir wurde bewusst, dass ich von Rennwagen fasziniert war. Besonders die Porsche-Konstruktionen mit Hinterradantrieb begeisterten mich“, erklärt Foster. „Für mich sind diese Wagen Kunstwerke wie futuristische Skulpturen.“

Mit 16 Jahren verlässt Norman Foster die Schule, um bei der Stadtbehörde Geld zu verdienen. Während seiner Jugend sind es vor allem Bücher und Zeitschriften, die ihn inspirieren. Das wöchentlich erscheinende Jugendmagazin Eagle, ein eigenwilliges Potpourri aus Futurismus, Technologie und Architektur, bildet Dan Dare auf dem Cover ab. Der Comic-Held ist Pilot. Foster beginnt vom Fliegen zu träumen. Sein erstes Abenteuer aus Science und Fiction sollte bald Realität werden.

Zweiter Akt

Royal Air Force Die Leidenschaft für den Luftraum führt ihn 1953 zum Militärdienst bei der Royal Air Force. Sein Alltag in einer Radarstation findet zwar am Boden statt, doch ein paar Jahre später erwirbt er seine erste Fluglizenz. Aircraftsman Foster 2709757 pilotiert heute noch Helikopter und Düsenjets. Nach der Luftwaffenausbildung muss er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten; zurück in die Tristesse der Stadtverwaltung will er auf keinen Fall. Die nächste zündende Inspiration begegnet ihm in der Bibliothek von Levenshulme: Noch heute hütet er Le Corbusiers Buch Vers une architecture. „Ich war wie hypnotisiert von diesem Design“, erinnert er sich. Sein Bewerbungsportfolio für den Architekturkurs an der University of Manchester wird akzeptiert. Der kühne Entwurf eines ­Windrades sichert ihm bereits im zweiten Semester eine erste Auszeichnung. Ein Hausentwurf, in dem ein Motorboot nahezu im Wohnzimmer anlegt, ist ein weiteres Exempel, das ihn aus der Menge seiner Mitstudenten herausstechen lässt.

Dritter Akt – Yale

1961 erhält Foster ein Stipendium für die renommierte US-Universität Yale. Amerikas Umgang mit Form und Funktion zieht den Architekturstudenten schon länger in den Bann. Bereits mit Beginn des Zweiten Weltkrieges hatten viele europäische Vordenker den Kontinent verlassen und ihre mehrgeschossigen Ideen in Übersee weitergeträumt. Darunter Größen wie Walter Gropius, Gründer des Bauhauses, oder Ludwig Mies van der Rohe. Foster genießt Yale. Visionäre wie Richard Buckminster Fuller oder Paul Rudolph treiben ihn zu Höchstleistungen an. In einem VW „Käfer“ reisen Foster und sein Kommilitone Richard Rogers durch die USA. Bauten von Frank Lloyd Wright oder Charles Eames ziehen sie magisch an. Gebäude nach dem Baukastenprinzip werden prägende Lehrstücke. Nach dem Abschluss in Yale arbeitet Foster noch einige Monate in San Francisco. Dort verliebt er sich in die Silhouette des Porsche 356: „Der Wagen war in Kalifornien ein Kultauto. Eigentlich ein Nischenprodukt, aber jedes Mal, wenn ich meinen MGA zum Service brachte, standen dort lauter 356. Sogar der Chefdesigner des Büros, für das ich arbeitete, fuhr einen. Die Form und das Konzept dieses Autos faszinierten mich sofort.“

Vierter Akt – Team 4

Gemeinsam mit Richard Rogers, Fosters späterer Ehefrau Wendy Cheesman und deren Schwester Georgie erfolgt 1963 die Gründung des Architekturbüros Team 4. Einer der ersten Entwürfe gewinnt den RIBA Award des Royal Institute of British Architects – und setzt auch Fosters Flugleidenschaft ein Denkmal: Ein Teil des prämierten Creek Vean House im englischen Cornwall erinnert an ein zur Hälfte in die Erde versenktes Cockpit. Das Architektenquartett hebt sich mit der Mischung traditioneller und industrieller Materialien deutlich vom Mainstream ab und kommt sogar ins Kino. US-Filmregisseur Stanley Kubrick nutzt das Skybreak House im britischen Radlett 1971 für Dreharbeiten seines Blockbusters A Clockwork Orange.

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HSBC-Hochhaus
Knapp 180 Meter reckt sich das Bankgebäude in den Himmel über Hongkong. Dabei kommt es ohne zentralen Betonkern aus. Tragend ist ein Exoskelett aus Stahl.

Fünfter Akt – Foster + Partners

Norman Foster gründet mit seiner Frau Wendy 1967 das Büro Foster Associates, das sie später in Foster + Partners umfirmieren. Es wird zur Keimzelle bahnbrechender Bauwerkskunst. Mithilfe neuer Computertechnologie morpht sich Foster noch intensiver in seine Konstruktionen. Die schwarze Rauchglasfront von Willis Faber & Dumas im englischen Ipswich sorgt Anfang der 1970er-Jahre für Aufsehen. 1986 folgt das 44 Stockwerke hohe HSBC-Hochhaus in Hongkong. Foster kehrt die komplette Gebäudestruktur von innen nach außen und rückt sich ins Weltinteresse. 1991 dann der erste Flughafen: London-Stansted. Mit Fertigstellung des Beijing Capital International Airports erhellt Foster erstmals das Innere eines Flughafenterminals durch natürlichen Lichteinfall. Seine Kreativität scheint grenzen- und schwerelos. Seine Bauwerke erobern den Globus, die Liste der Preise und Auszeichnungen wird immer länger. Bereits 1990 schlägt ihn Königin Elizabeth II. zum Ritter. Fosters Millennium Bridge, das Hochhaus The Gherkin und das Wembley-Stadion prägen das moderne Antlitz von London. 1999 verleiht die Queen dem Architekten die Würde eines life peer – aus Adel wird Hochadel, jetzt hat er als Baron Foster of Thames Bank auch einen Sitz im House of Lords, dem britischen Oberhaus. „Ein feierlicher Anlass voller Demut“, erinnert sich der Baukünstler an die Zeremonie. „Doch viel wichtiger war die umfassende Würdigung der Architektur für die Gesellschaft.“

Im selben Jahr empfängt er den weltweit begehrten Pritzker Architekturpreis – und zwar in Berlin. Dort, wo er den Auftrag für die Restrukturierung des deutschen Reichstagsgebäudes erhält. „Mein wohl bedeutsamstes Projekt“, erklärt Foster. Von der Anordnung der Sitzreihen über das Design eines überdimensionalen Bundesadlers bis hin zur gläsernen Dachkuppel: Foster denkt ganzheitlich. „Wir modellierten eine Kuppel im Maßstab 1:20, hievten sie per Kran auf das echte Reichstagsgebäude und stellten uns hinein. Wir wollten einfach erleben, wie das Interieur auf uns wirkt“, blickt er zurück. Die politische Wirkung architektonischer Entscheidungen verlangt maximale Sensibilität. „Ich weiß noch, wie der damalige Kanzler Helmut Kohl mit mir durch den Bau ging und mir seine Wünsche hinsichtlich besonderer Farben mitteilte – er wollte in jedem Fall etwas Fröhliches für das geeinte Deutschland.“ Der Brite überzeugte den deutschen Regierungschef auch, die kyrillischen Inschriften der Roten Armee zu konservieren, die diese 1945 auf den Wänden hinterlassen hatte.

Zur Gestaltung des zweieinhalb Tonnen schweren Adlers, der im Plenarsaal über den Köpfen der Politiker wacht, reist Foster nach Japan, harrt tagelang in den Bergen aus, um die wilden Greifvögel zu studieren. Trotzdem: „Der Bundesadler ist ein Kompromiss, ich hätte ihn gerne etwas hagerer gehabt.“

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Apple Park
Als monumentale Endlosschleife wurde der Hauptsitz des Computergiganten 2017 im Silicon Valley eröffnet. Im Zentrum befindet sich ein zwölf Hektar großer Park.

Sechster Akt – Apple Park

„Hey Norman, hier ist Steve. Ich brauche deine Hilfe.“ Der Anruf mündet in den wohl spektakulärsten Bürokomplex der Welt: Apple Park. Die Zentrale des Computerherstellers entsteht in Cupertino im kalifornischen Silicon Valley, wo Firmengründer Steve Jobs aufwuchs. „Es war eine wirklich besondere Zusammenarbeit“, unterstreicht Foster. „Steve wollte nicht, dass ich ihn als Klienten sehe, sondern als Mitglied meines Teams. Er erzählte mir, dass in seiner Jugend im Silicon Valley das meiste Obst für Amerika produziert wurde. Das war die Inspiration für Apple Park.“ Apple Park gilt als eines der fortschrittlichsten Bauwerke in der Unternehmensarchitektur. Strom gewinnt es zu hundert Prozent aus erneuerbarer Energie. Die Solarzellen auf dem Campus generieren bis zu 17 Megawatt und bilden zusammen eine der weltweit größten auf einem Dach montierten Solaranlagen.

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Chesa Futura
Lord Norman Foster sieht in den Formen von Gebäude und Porsche 356 eine symbiotische Verbindung.

Siebter Akt – Chesa Futura und 356

250.000 handgeschnittene Schindeln aus Lärchenholz bilden die Fassade. Von der anderen Seite des Sees betrachtet, löst sich der Bau in den Farben der Schweizer Berglandschaft auf. Chesa futura bedeutet Haus der Zukunft auf Rätoromanisch, der Ursprache des Kantons Graubünden. Foster hat seinen privaten Wohnkomplex mitten in die Schweizer Skimetropole Sankt Moritz gesetzt – er wirkt wie ein gelandetes Raumschiff.

„Die Chesa Futura ist sehr lebendig“, schwärmt ihr Schöpfer, „genau wie mein Porsche hier.“ Fosters 356 in Fischsilbergrau hat die Geteiltscheibe, die ihn als ein frühes Exemplar aus der Stuttgarter Produktion auszeichnet. „Wie der Wagen die Form der Chesa aufnimmt und umgekehrt – ist das nicht wunderbar?“ Er liebt die Ausfahrten über die kurvigen Pässe seiner Wahlheimat. Dennoch zeigt der Tacho kaum 6.000 Kilometer Laufleistung. „Jetzt, wo mein jüngster Sohn den Führerschein hat, werden wohl noch ein paar hinzukommen“, freut sich Foster und erzählt aus der Frühgeschichte seines 356: „Er wurde im Oktober 1950 in Hamburg ausgeliefert. 1955 erwarb ihn der Geschwaderführer der Royal Air Force Robert ‚Porky‘ Munro, importierte ihn nach Großbritannien und registrierte den Wagen mit dem Kennzeichen UXB 12, was für‚ ­unexploded bomb‘ steht. 1957 wurde Munro Cheftestpilot der Hawker-Siddeley Kestrel, der Prototyp für den Harrier Jump Jet – eine meiner Lieblingskonstruktionen.“ Fosters schwarzes 356 C Cabriolet steht für den leidenschaftlichen Langläufer mit aufgeschraubten Skihaltern parat. Gerüstet für spontane Ausflüge. „Der Glamour, der heute mit dem 356 verbunden ist, täuscht über seine Wurzeln hinweg“, philosophiert der Ausnahmearchitekt. „Er wurde in Zeiten der Knappheit erdacht und aus den Teilen gebaut, die in der Nachkriegszeit verfügbar waren.“

Lord Norman Foster, der als Kind die Pence zählte, um mit seinem Comic-Helden Dan Dare in Pilot of the Future abheben zu können, und der mit architektonischem Wagemut selbst ein Pilot der Zukunft wurde, ist dankbar: „Ich schätze diese Sportwagen sehr, genau wie mein Leben. Es ist ein Privileg, noch immer jede Fahrt genießen zu können.“

„Die Chesa Futura ist sehr lebendig – genauso wie der Porsche.“
Lord Norman Foster

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Kunst als Kulisse
Fosters zwei 356 parken vor einem riesigem Wandteppich. Das Werk von Grayson Perry interpretiert William Shakespeares „Seven Ages of Man“.

Text Bastian Fuhrmann
Fotos Gerhard Merzeder, Markus Bolsinger, Ian Lambot, Rudi Meisel, Steve Proehl