Porsche - Die Achse des Besseren

Die Achse des Besseren

Vor etwas mehr als 40 Jahren stellte der Porsche 928 die Fahrwerkstechnologie auf den Kopf – mit der legendären Weissach-Achse.

1973: Neue Fahrzeugkonzepte setzen sich durch. Plötzlich scheinen Autos mit Motor im Heck ihre Zukunft hinter sich zu haben. Auch die Entwickler und Entscheider bei Porsche tragen Sorgenfalten. Der 911 – seit nunmehr neun Jahren im Angebot – verkauft sich gut, er ist auch wirtschaftlich ein Renner. Doch die Frage lautet: Wie lange noch? Unüberhörbar sind Stimmen, die das Ende des Sportwagens prophezeien. Mancher in Zuffenhausen glaubt, das Potenzial des 911 sei ausgereizt – ein Irrtum, wie sich später herausstellen soll.

Doch damals laufen in Zuffenhausen und im kurz zuvor eröffneten Entwicklungszentrum in Weissach die Arbeiten an einem Nachfolgemodell bereits auf Hochtouren: dem 928. Es ist der erste Frontmotor-Porsche mit einem 4,5-Liter-V8-Aggregat und 240 PS. Das Getriebe sitzt zwecks besserer Gewichtsverteilung vor der Hinterachse, über eine Längswelle in einem Zentralrohr starr mit dem Motor verbunden. „Transaxle“ heißt dieses vom Porsche 924 bekannte Prinzip, und es ist nicht die einzige technische Innovation, mit der 1977 der futuristisch designte 928 debütiert. Auch in puncto Fahrverhalten setzt der Wagen Maßstäbe: Die Weissach-Achse „ist eine Revolution im Fahrwerksbereich, sie ist bis heute unsere Arbeitsgrundlage“, sagt Manfred Harrer, Leiter der Fahrwerkentwicklung von Porsche.

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Sportwagen gestern und heute:
Die aktuelle Generation des Panamera neben dem 928.

Fahrsicherheit im Fokus

Mit der Weissach-Achse – der Name steht auch für „Winkel einstellende selbst stabilisierende Ausgleichs-Charakteristik“ – löst Porsche ein ebenso dringendes wie grundsätzliches Problem: Zunehmend sportlichere Fahrleistungen und Reifen, die höhere Kurvengeschwindigkeiten ermöglichen, führen zu einem Fahrverhalten, das immer mehr Autobesitzer an ihre Grenzen bringt – und manche darüber hinaus. Selbst scheinbar brave Familienautos heißen im Volksmund plötzlich „Witwenmacher“, Sportwagen hängt der Ruf nach, reine „Männerautos“ zu sein. Wer bei flotter Fahrt in der Kurve den Fuß vom Gas nimmt, muss blitzartig gegenlenken können, um das zuweilen abrupt ausbrechende Heck wieder einzufangen. In den USA veröffentlicht 1965 Ralph Nader, der später einer der erfolgreichsten Verbraucheranwälte der Welt werden soll, ein viel beachtetes Buch mit dem Titel Unsafe at Any Speed. Plötzlich steht das Auto an sich unter Beschuss.

Auch die ersten Prototypen des 928 leiden unter einem instabilen Eigenlenkverhalten. Die Ursache: Einwirkende Querkräfte bei Kurvenfahrten lassen die Spur des äußeren Hinterrads in den positiven Bereich wechseln – so als ob der Fuß eines Menschen nach außen gedreht wird. Fast noch schlimmer: Nimmt der Fahrer bei einer Kurvenfahrt den Fuß vom Gaspedal, kommt es nicht nur zu einer Verlagerung des Fahrzeugschwerpunkts nach vorne, was wiederum das Heck entlastet. Obendrein zieht das Motorschleppmoment die Räder ebenfalls leicht nach außen. In Rechtskurven zum Beispiel zeigt das stärker belastete linke Hinterrad dann nach links, also in Richtung „Nachspur“. Das Fahrzeug übersteuert beim Gaswegnehmen in Kurvenfahrten.

Wie es andersherum funktionieren könnte, das versuchen Hans-Hermann Braess und Gebhard Ruf herauszufinden – sie forschen bei Porsche an neuen Achskonzepten und nehmen sich die sogenannten elastokinematischen Elemente vor. Das sind, vereinfacht gesagt, die Gummipuffer zwischen den Achskomponenten und der Karosserie. Lassen sie sich am vorderen Aufhängungspunkt stärker komprimieren als am hinteren und würde eine entsprechend angepasste Achskinematik diesen Effekt bei der Gaswegnahme unterstützen, wäre das Ziel erreicht: Das Rad ginge in „Vorspur“, würde also im Sinne der Kurve eindrehen und die Hinterachse stabilisieren. Alles andere als einfach.„Rein theoretisch hat die Wissenschaft dieses Thema bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren schon gut verstanden – das Problem war die Überleitung in die Praxis“, erklärt Harrer. „Damals fehlte es schlicht an IT-Kapazität und Simulationstechnologien, um die gezielte Spurveränderung des äußeren Hinterrades möglich zu machen.“

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Folgenreiche Entwicklung:
Mit dem 928 hat Porsche in vielerlei Hinsicht Technikgeschichte geschrieben – insbesondere, was das Fahrwerk betrifft. Das Grundprinzip seiner sogenannten Weissach-Achse kommt heute in praktisch jedem modernen Sportwagen von Porsche zum Einsatz.

Zweites Lenkrad im Fond

Es beginnt ein mühsamer Entwicklungsprozess unter der Leitung der Porsche-Ingenieure Wolfhelm Gorissen, Manfred Bantle und Helmut Flegl, der aus heutiger Sicht auch kurios anmutende Versuchsanordnungen mit sich bringt – darunter ein Opel Admiral, der neben den Fahrwerkskomponenten des künftigen 928 auch ein zweites Lenkrad im Fond hat. Während Bantle fährt, simuliert hinten der später als Renningenieur bekannt gewordene Walter Näher den Effekt der Vorspuränderung. Resultat: Schon geringe Winkel genügen, um das Fahrverhalten zu stabilisieren – aber sie müssen blitzartig erfolgen, innerhalb von 0,2 Sekunden, um den gewünschten Effekt zu erzielen.

Die aufwendige Tüftelarbeit zahlt sich aus. „Mit der Weissach-Achse besaß der 928 plötzlich ein viel sichereres Eigenlenkverhalten, denn er übersteuerte nicht mehr“, erinnert sich Frank Lovis, seinerzeit Versuchsfahrer bei Porsche. „Das Auto wurde dadurch in Kurven nicht schneller, aber speziell für den Normalverbraucher viel einfacher beherrschbar.“

Auch Harrer kann die Bedeutung der Weissach-Achse nicht genug unterstreichen: „Diese Pionierarbeit hat den Grundstein für die moderne Achskinematik gelegt und wurde im Laufe der Jahre von Porsche immer weiter perfektioniert.“ Voll ausgereift und in der Neuzeit angekommen war sie, als sie mit dem 993 erstmals auch im Porsche 911 zum Einsatz kam, wo sie neben Längs- auch Querkräfte beherrschen konnte.

„Wir haben heute ein viel größeres Materialverständnis als damals“, sagt Harrer. Gummilager sind für ihn Elastomere: Hightech-Bauteile mit aufwendiger Chemie und präzisen Eigenschaften, die längst auch progressive Laufwege besitzen und mit dramatisch erhöhten Dämpfungseigenschaften einen viel größeren Federungs- und Akustikkomfort bieten – und das über die gesamte Lebenszeit des Fahrzeugs hinweg.

2018: Die Entwicklung setzt sich fort. Auch, weil die Vorteile der Weissach-Achse auf immer neue Fahrzeugkonzepte und kompaktere Bauräume angepasst werden, vom SUV à la Porsche Cayenne und Macan über Sportlimousinen wie den Panamera bis hin zum vollelektrischen Sportwagen von morgen. Längst gehören auch aktive Systeme dazu, etwa die aktive Hinterachslenkung der aktuellen Porsche-911-Generation – sie macht den Sportwagenklassiker noch agiler, stabiler und handhabbarer. Oder Energie rekuperierende Bremssysteme, von denen Harrer sich in naher Zukunft „weitere dynamische Umbrüche“ verspricht. Denn die nächsten technologischen Meilensteine sind bereits in Sichtweite. Fahrwerke, die Informationen zum Straßenzustand elektronisch mit anderen Autos teilen und so zum Beispiel vor überraschender Glätte in einer Kurve warnen. Oder elektrische Antriebe, die über einen gezielten Drehmomenteinsatz an einzelnen Rädern – „Torque Vectoring“ genannt – die Fahreigenschaften zusätzlich agilisieren.

Allen elektronischen und aktiven Fahrwerksregelsystemen zum Trotz, an einem will Harrer nicht rütteln: „Grundsätzlich werden unsere Autos immer über funktionierende ausbalancierte Achssysteme verfügen. Allerdings sorgen moderne Simulationstechnologien dafür, dass wir nicht mehr 20 verschiedene Stabilisatoren ausprobieren, sondern vielleicht nur noch drei.“

Den letzten Schliff aber wird bei Porsche keine Technik ersetzen. Feingefühl und die Erfahrung der Versuchspiloten bleiben auch in Zukunft unverzichtbar.

Text Klaus-Achim Peitzmeier
Fotos Stephan Lindloff, Porsche