Porsche - Hart wie Diamant

Hart wie Diamant

Rostet nicht und produziert kaum Bremsstaub. Im neuen Cayenne Turbo ist die Porsche Surface Coated Brake (PSCB) erstmals serienmäßig im Einsatz.

Kennen sie „Widia“? Matthias Leber schmunzelt wissend. Der promovierte Maschinenbauer und Bremsenexperte im Porsche-Entwicklungszentrum Weissach kann nämlich nur deshalb Zukunft entwickeln, weil er die Vergangenheit kennt. Und zu der gehört Widia. Es ist eine Abkürzung für „wie Diamant“ und schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts die Verkaufsbezeichnung für einen erstaunlich harten Werkstoff mit einer entscheidenden Hauptkomponente: Wolframcarbid. Leber kennt die Eigenschaften von Werkstoffen und ihre Vorteile ganz genau. Stolz blickt er auf eine blitzblanke, glänzende Bremsscheibe vor sich. Selbst im gebrauchten Zustand könnte man sie wie einen Spiegel an die Wand hängen. Wolframcarbid rostet nicht und läuft nicht an. Aber dass diese Bremse so gut aussieht, ist nicht ihr Hauptvorteil. Viel wichtiger ist ihre Performance.

Was am neuen Porsche Cayenne Turbo serienmäßig sein Debüt feiert, ist nicht weniger als eine Weltneuheit: die Porsche Surface Coated Brake (PSCB). Ihre Oberfläche besteht aus Wolframcarbid. Wolfram und Kohlenstoff verbinden sich zu einem Mischkristall, der so hart ist, dass man damit Glas schneiden könnte. Wolframcarbid ist nach dem Diamanten eines der härtesten Materialien der Welt und etwa zehn Mal härter als Grauguss – und genau an diesem Punkt wird es für einen Bremsenentwickler höchst interessant.

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Matthias Leber: Der Leiter des Fachgebietes Bremsen ist das Mastermind hinter der PSCB.

Klingt wie Alchemie

Was wäre, wenn es eine Bremse gäbe, die fast so gut verzögert wie eine Keramikbremse, die genauso temperaturstabil ist, jedoch keine Rennbremsbeläge benötigt, nur etwa ein Drittel so viel kostet und dabei viel weniger Verschleiß zeigt als eine konventionelle Graugussbremse, praktisch keinen Bremsstaub produziert und auch nicht rostet? Das klingt wie Alchemie – und ist doch seriöse Technik made by Porsche. „Aber glauben Sie mir, das war ein weiter Weg. Sonst hätten wir das schon längst gemacht“, sagt Leber. Wunder gibt es eben nicht. Nur beharrliche Entwicklungsarbeit.

Oftmals kommen neue Techniken vom Rennsport auf die Straße, so wie bei der Porsche Ceramic Composite Brake (PCCB). Sie ist der Meister der Verzögerung. Das absolute Maß der Dinge. Moderne Graugussbremsen sind ebenfalls nicht zu verachten. Und doch blieb bisher eine Lücke – für besonders leistungsstarke Porsche-Fahrzeuge, die nicht unbedingt jeden Tag den Asphalt der Rennstrecke schmecken. Für Leber und sein Team lag die Lösung auf der Hand: eine Hartmetallbeschichtung. Denn warum, so fragten sie sich, sollte an Bremsscheiben nicht funktionieren, was als Werkzeugstahl schon seit hundert Jahren eingesetzt wird?

Ganz einfach: Eine komplette Bremsscheibe aus Wolframcarbid wäre vergleichsweise so teuer wie mehrere Sätze Keramikbremsen. Um außerdem Wolframcarbid sicher mit einer Trägerschicht – etwa mit Grauguss – zu verbinden, fehlte lange Zeit die Technologie. Erst Porsche gelang, in enger Zusammenarbeit mit Bosch/Buderus, nach vielen Versuchen der Durchbruch: Die Graugussscheibe wird mithilfe von Lasertechnik strukturiert und dann mit einer Zwischenschicht galvanisch beschichtet. Die Zwischenschicht vermittelt wie ein elastischer Klebstoff zwischen den unterschiedlichen Wärmeausdehnungen von Grauguss und Wolframcarbid, das anschließend sehr spektakulär aufgebracht wird: Wolframcarbid-Partikel treffen im Hochgeschwindigkeits-Flammspritzverfahren mit Überschallgeschwindigkeit auf die Scheibe. Was da für einen Moment die Bremsscheibe robotergesteuert umströmt, sieht aus wie ein Lichtschwert aus Star Wars. Das Ergebnis ist eine etwa 100 Mikrometer dünne Schicht, die allein aber noch nichts nützt. Jetzt kommt es auf ganz spezielle Bremsbeläge an.

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„Die grandiose Performance hat uns selbst überrascht.“
Matthias Leber

Auf der Suche nach der Mischung

„Das ist mindestens noch einmal so viel Entwicklungsarbeit“, sagt Leber. Lasertechnik und höchst präzise automatisierte Produktionsprozesse bei der Herstellung neuartiger Bremsscheiben sind die eine Sache, Beläge mit der richtigen Mischung die andere. Eine spiegelglatte Fläche braucht einen speziellen Belag, der auf der Oberfläche haftfähig ist. Etwa so, als würde man mit einem Finger mit leichtem Druck über einen Spiegel fahren: Er rutscht nicht gleichmäßig, sondern haftet immer wieder für einen Augenblick. Doch ein allzu weicher Belag auf einer sehr harten Oberfläche würde bei hoher Drehzahl der Bremsscheibe zu schnell verschleißen. Also wird in einen gut haftenden Belag ein Anteil sehr harter Stoffe gemischt, die mikroskopisch fein in die Wolframcarbidschicht eindringen. Diese Beläge krallen sich förmlich in die Scheibe.

Mikroskopisch kleine Anker

„Das Ergebnis hat uns alle überrascht“, sagt Leber. „Dass die Bremse gut werden würde, das wussten wir vorher. Doch die ersten Versuche haben alle unsere Vorstellungen übertroffen.“ Dank der glatten Oberfläche liegt der volle Belag bei niedrigen Geschwindigkeiten sofort vollflächig an. Es ist wie der Vergleich von Schallplatte und CD: Bei Grauguss ist die adhesive Wirkung reduziert, weil die Vertiefung jeder Rille als Oberfläche ausfällt. Wolframcarbid hingegen kennt praktisch keine Rillen, sondern ist spiegelglatt. Wird bei hohen Geschwindigkeiten mehr Bremswirkung benötigt, werfen die harten Bestandteile im Belag ihre mikroskopisch kleinen Anker aus. „Das bedeutet selbstverständlich Verschleiß und auch Bremsstaub, doch der ist gegenüber einer Graugussbremse um 90 Prozent reduziert“, erklärt Leber. Hinzu kommt eine 30 Prozent längere Lebensdauer im Vergleich zu einer Graugussscheibe – und das bei einer Performance nahe an der PCCB zu einem Drittel der Kosten einer Keramikbremse. Tatsächlich fühlt sich die neue Bremse im Fahrbetrieb wie die PCCB an: Die Pedalkraft bleibt auch bei heißer Bremse konstant. Sie gibt bei großer Hitze nicht nach, neigt also nicht zum gefürchteten Fading, sondern wird im Gegenteil bei Temperaturen um 600 Grad noch bissiger.

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1) Thermisch behandelte Oberfläche: Der Grauguss-Grundkörper wird per Laser strukturiert, aufgeraut und gereinigt.
2) Duktile Zwischenschicht: Nickel als galvanisch aufgebrachter Haftvermittler verbindet Grauguss und Wolframcarbid.
3) Hartmetallschicht: Sie besteht aus Wolframcarbid; die Beschichtung erfolgt im Hochgeschwindigkeits- Flammspritzverfahren.
4) Bremsscheibe und Sattel: Beschichtete Grauguss-Bremsscheibe in Leichtbauweise mit Zehnkolben-Festsattel.
5) PSCB-Bremsbeläge: Ihr spezielles Material ist eine Neuentwicklung.

Weiße Weste inklusive

Nach rund 600 Kilometern im Alltagsbetrieb haben die Bremsbeläge die Oberfläche auf Hochglanz poliert. Dann passen sie optisch zu den weißen Zehnkolben-Festsätteln vorn und den Vierkolben-Festsätteln hinten, deren Technik man von der PCCB kennt. Doch warum weiß? Leber lacht: „Wenn eine Bremse praktisch keinen Staub produziert, sollte man das zeigen. Mein Farbvorschlag stieß anfangs auf große Vorbehalte.“ Aber, die Versuchsträger des neuen Porsche Cayenne beweisen nach Tausenden Kilometern: Diese Bremse behält ihre weiße Weste.

Zunächst gibt es die PSCB nur beim neuen Cayenne Turbo serienmäßig. Für alle weiteren neuen Cayenne ist sie optional verfügbar. Ist die PSCB die perfekte Verbindung aus Performance, Schönheit und Wirtschaftlichkeit, das Nonplusultra jedweder Bremsenentwicklung? Leber schüttelt den Kopf: „Die fortschreitende Elektrifizierung der Fahrzeuge wird ganz neue Formen von Bremsen hervorbringen. Allein die Rekuperation ist ja schon eine gänzlich verschleißfreie Form der Verzögerung und damit für uns besonders interessant, denn so kann man 90 Prozent aller Normalbremsvorgänge erledigen. Da müssen wir weiter forschen.“ Schnelle Autos brauchen schließlich schnelle Bremsen. Porsche-Bremsen können also niemals schnell genug sein.

Text Thorsten Elbrigmann
Fotos Frank Ratering