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Ausfahrt: Fernando Guerra in seinem Porsche 911 in den Gassen Lissabons.

Fernando Guerra zählt zu den renommiertesten Architekturfotografen der Welt. Er versteht es, Bauten jede Schwere zu nehmen und Architektur in Bewegung zu setzen. Was ihn selbst bewegt, hütet er in einer Garage in Lissabon: vier klassische Porsche-Modelle aus den Jahren 1973 bis 1995.

Ein größerer Kontrast zu den Welten, in denen sich Fernando Guerra normalerweise bewegt, ist kaum vorstellbar. Der Mann, der als Architekturfotograf futuristische Gebäude und atemberaubende Raumfluchten inszeniert, steht in einer gewöhnlichen Garage. Der spröde, weiß gestrichene Raum mitten in Lissabon ist einer der wichtigsten Orte seines Lebens. Draußen durchzieht urbane Betriebsamkeit die portugiesische Metropole, drinnen, hinter dicken Mauern, ist es wunderbar still. Die Garage liegt in einer kleinen Seitenstraße, eine unauffällige Einfahrt mit elektrischem Tor führt hinein. Das Besondere an diesem ganz und gar gewöhnlichen Ort: Auf einer Fläche von vielleicht acht mal acht Metern stehen vier Sportwagen von Porsche. So eng geparkt, dass sie einander fast berühren. „Meine kleine Familie“ nennt Guerra das mit roten Tüchern abgedeckte Quartett. In der Garage findet er Ruhe und kann seine Arbeit hinter sich lassen. Dort werde sein Kopf frei, sagt Guerra.

Der 46-jährige Portugiese ist gelernter Architekt und zählt zu den wenigen Fotokünstlern, die eine besondere Fähigkeit besitzen: das Statische der Architektur in Bewegung aufzulösen. „Ich will die Bauten auf meinen Fotos atmen lassen, sie zum Leben erwecken“, erklärt er. Guerra ist um die Jahrtausendwende einer der ersten Fotografen, die Menschen auf eine charakteristische Weise in die Architektur einbeziehen. Einer, der nicht starre Wände ablichten will, sondern einen Rhythmus im Gebauten sucht. „Architekturfotografie fand ich zu jener Zeit langweilig. Bis ich eines Tages selbst keine Gebäude als Architekt mehr erschaffen, sondern ihre Geschichte mit der Kamera erzählen wollte.“ Diese Geschichten zu ergründen, treibt ihn bis heute an, egal, auf welches Objekt er seine Kamera richtet. Sein Problem: Wie stelle ich etwas am eindrücklichsten und wahrhaftigsten dar? Seine Herangehensweise: das Fließende im Statischen suchen, finden und herausarbeiten. Zahlreiche Auszeichnungen belegen, wie gut ihm das immer wieder gelingt.

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Revolutionär: Guerra fand Architekturfotografie langweilig – also ging er neue Wege und inszeniert Gebäude auf seine eigene Art und Weise modern.

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Schwung im Statischen: Fernando Guerra zählt zu den besten Architekturfotografen der Welt.

Guerra zupft an einem der roten Tücher, der schwarze Lack eines Porsche 911 Carrera 4 (964) kommt zum Vorschein. „Ich mag es, wenn meine Autos die mit Abstand schönsten Dinge in einem Raum sind. Und sei der noch so klein. Und ich liebe es, Tetris zu spielen“, ergänzt er fröhlich, als er beginnt, seine Fahrzeuge in dem engen Raum zu rangieren.

Guerra arbeitet fünf Jahre lang als Architekt in Macau, bevor er sich mit knapp 30 Jahren auf das Fotografieren stürzt – und damit seine erste Liebe zum Beruf macht. Schon als 16-Jähriger nimmt er die Kamera in die Hand, zu einer Zeit, als er auch seine zweite Passion entwickelt: die für Autos. „Erinnere ich mich an das erste Mädchen, in das ich mich verliebt habe? Nein. Aber den ersten Porsche den ich bewusst wahrgenommen habe, einen 959 von 1986, sehe ich heute noch vor mir“, sagt er. Später, mit 22 Jahren überzeugt Guerra seinen Vater davon, sich einen gebrauchten Porsche 911 S Targa von 1973 zu kaufen. „Den habe ich mir dann schnell selbst unter den Nagel gerissen.“ Auch dieses Auto steht in seiner Garage, zwischen einem 911 Targa von 1995 und einem 928, Baujahr 1979. „Ich bin kein Sammler“, betont der Portugiese. „Ich fahre meine Porsche so oft ich kann. Ich will mit meinen Autos Geschichten erleben.“ Guerra spricht leise und bewegt sich mit einer geschmeidigen Gelassenheit. Er deutet auf den 911 von 1973: „Viel zu viele Geschichten, um ihn abzugeben. Und mein 964 von 1990? Den habe ich noch nicht so lange – also zu wenige Erinnerungen, um ihn zu verkaufen.“

Höchste Zeit also, den bisherigen Erlebnissen neue hinzuzufügen. Guerra zieht den Staubschutz nun gänzlich von seinem 964, steigt ein und dreht den Schlüssel herum. Das Anspringen des Motors zerreißt die Stille des Raums. Der Herzschlag des Boxermotors hallt von den Wänden. „Er lebt!“, ruft Guerra aus dem Auto. Das Tor öffnet sich, der Porsche drängt ans Licht. Ins Freie. Guerra lenkt den Sportwagenklassiker über gewundene Straßen hinauf zum Parque Florestal de Monsanto, einer bewaldeten Parkanlage über der Stadt. Dabei kommt er ins Plaudern: „Meine beiden Teenagertöchter interessieren sich mittlerweile nicht mehr so für ihren Vater. Mit meinem Porsche ist das anders“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Mit seiner Frau, die als Architektin arbeitet, ebenfalls.

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Herzschlag in Beton: Wenn Guerra Gebäude fotografiert, möchte er ihnen mit seinen Fotos Leben einhauchen.

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Aufgedeckt: In einer kleinen Garage stehen die vier Porsche, die Guerra seine „kleine Familie“ nennt.

Seine Reisen plant Guerras jüngerer Bruder Sérgio. So kann er sich auf das Fotografieren konzentrieren. „Ankommen, loslegen“, beschreibt er seinen Arbeitsstil. Von der Suche nach Inspiration hält er nicht viel. „Das ergibt sich im Prozess. Wenn ich Menschen in ein Gebäude hinein- und herausgehen sehe. Wenn ich spüre, dass der Bau lebt.“ Bis zu eintausend Bilder kommen an einem Tag zusammen. Dabei ist es ihm wichtig, ein Bauwerk so abzubilden, dass die Intentionen des Architekten erkennbar werden. Es helfe ihm sehr, dass er vom Fach ist: „Ich weiß, was die Architektur ausmacht und was aufs Foto muss, damit es eine funktionierende architektonische Schöpfung zeigt.“

Im Park hoch oben über der Stadt, auf kurvenreichen Straßen inmitten dichten Grüns, schweigt Guerra eine Weile und lässt den Motor des Porsche sprechen. Später erzählt er von seinem neuesten Projekt: Er entwirft Ledertaschen und Etuis für Männer. In gedeckten Farben, zurückhaltend klassisch im Design. Die Idee entstand nebenher, es sollte ein kleines Herzensprojekt für die Zeit sein, die er in Lissabon verbringt. Als die ersten großen Bestellungen eintrafen, war er mit der Produktion etwas überfordert. „Mein Bruder sagt immer: ‚Fernando, du musst auch ans Verkaufen denken.‘ Und ich merkte plötzlich: ‚Stimmt, da war noch was …‘.“

Und was hat er als Nächstes vor, neben dem Fotografieren? Guerra will seinen Sportwagen „den ihnen gebührenden Raum geben“, wie er sagt. Er träumt von einem Arbeitsplatz inmitten seines Porsche-Quartetts. Er hat ein kleines Haus 60 Kilometer von Lissabon entfernt, „da ist noch Platz, den Autos irgendwann ein neues Zuhause zu geben. Dann müssen Sie wiederkommen“, lädt er uns ein. Guerra manövriert seinen 964 zurück in die Garage. Anschließend ist es wieder ganz still. Der Lärm der Stadt bleibt draußen an den dicken Mauern hängen.

Text Frieder Pfeiffer
Fotos Mike Meyer & Fernando Guerra