Porsche - Ende gut, alles gut

Ende gut, alles gut

Einen Porsche sieht man auf der Straße häufig von hinten. Grund genug, diese Perspektive in Worte zu fassen. Der renommierte japanische Industriedesigner Naoto Fukasawa über die Bestimmung von Design, und warum das Heck eines Autos wie das letzte, perfekt passende Puzzlestück ist.

Als Kind musste ich oft Kartoffeln schälen. Dabei sind immer Erdreste hängen geblieben. Egal wie sehr ich mich bemühte, die Kartoffeln blieben schmutzig. Sobald ich sie aber ins Wasser legte, waren sie sauber, verwandelten sich in Skulpturen, lagen vertraut in meiner Hand. Das habe ich nie vergessen. Als ich Jahrzehnte später ein Handy gestaltete, stellte ich mir vor, dass die Nutzer es häufig in der Hosentasche abtasten werden. Dabei erinnerte ich mich an mein Kartoffelerlebnis und zeichnete bewusst keine aerodynamischen Linien. Denn jede Hand sucht unwillkürlich Kanten, will Texturen fühlen, mit ihnen spielen oder sich an ihnen orientieren. Bei einem Auto ist es nicht anders, selbst wenn wir Linien und Kanten nicht ständig mit den Händen, sondern mit den Augen berühren. Das ist unser Spiel mit deren Schönheit.

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Reduktion:
Porsche 718 RS 60 Spyder - Der Ahn von 1960, Rennsport in reduzierter Form
Porsche 718 Boxster S - Gegenwärtig: markant, flach, präzise, klar definiert

Die Welt des Designs hat sich drastisch verändert. Grafik, Produkte, Inneneinrichtung, Ton, Film und Kunst stehen im ständigen Wechselspiel miteinander. Überall in unserer Nähe sind Wände. Und zwischen ihnen und dem Menschen befinden sich Gegenstände, die wir geschaffen haben. Der Trend zeigt, dass diese Objekte nun wandern, entweder hin zur Wand – oder zu uns. Die früher so klobigen Fernseher sind flachen Geräten gewichen, die wir an die Wand hängen. Die schweren alten Haustelefone dagegen sind zu uns gekommen und schmiegen sich in unsere Hände. Audiosysteme? Sind entweder zur Wand gewandert oder ins Ohr. Licht, Klimaanlage, Kühlschrank? Orientieren sich mehr denn je zur Wand. Unsere Welt wird sauberer, geordneter, schlichter. Das ist ein Kernaspekt der Tätigkeit eines Designers. Natürlich gibt es noch immer Ur-Objekte wie Tische, Stühle, Töpfe, Teller, die das bleiben, was sie immer waren. Auch ein Auto wird immer ein Ur-Objekt bleiben. Und die Form eines Porsche ist dabei so etwas wie die Ur-Form: seit jeher geordnet, schlicht, makellos. Ein Ruhepol der Schönheit für unsere Augen in dieser überbordenden Welt.

Harmonie im Gesamtbild

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Ästhetik: Porsche Macan GTS - Klassisches Sportwagendesign mit den Genen des 911

Früher war ein Interface gleichbedeutend mit Software und Bildschirm. Heute ist jedes erfolgreiche Produkt ein Interface – ein Scharnier zwischen Mensch und Umwelt. Wie es ein Auto mit seiner klaren Bestimmung schon lange ist. Nur durch ständige Beobachtung im Alltag komme ich zum richtigen Ergebnis, kann Formen finden, die Teil dessen sind, was uns verbindet: Kultur, Gewohnheiten, Erinnerungen, Geschichte. Dabei suche ich nach skurrilen Zufallsmomenten aus dem urbanen Leben. Sie erlauben mir den Einblick in das Verhalten der Menschen. Und daraus entwickle ich Produkte. Hat jemand keinen Türstopper zur Hand, nimmt er einen Gummistiefel. Die perfekte, spontane Lösung: Die Tür ist nicht zu weit geöffnet und das Gummi schont das Holz. Warum also nicht einen Stiefeltürstopper kreieren? Eine Frau mit einer Einkaufstasche steht an einer Straßenkreuzung. Der Regen hat aufgehört, die Frau stützt sich auf den Regenschirm und hängt die Tasche über den Griff, wo sie aber abrutscht. Daraus entstand die Idee zu einem Schirm mit Kerbe im Griff. Unbewusst tragen die Menschen im Alltag Lösungen bereits mit sich herum. Deshalb sagen sie häufig zu mir: Ihr Design habe ich schon einmal irgendwo gesehen. Und ich entgegne dann: Bestimmt nicht, Sie haben es durch mich nur wiederentdeckt.

Ich habe einmal beobachtet, wie ein Mädchen entspannt auf einem umgefallenen Baumstamm saß und las. Ich dachte: Wow! Wenn sich dieses Mädchen auf einem Baumstamm so wohlfühlt, sollte ich eine Bank entwerfen, die wie ein Baumstamm aussieht. Tatsächlich wurde dieses Möbelstück erfolgreich – doch nicht so erfolgreich wie mein CD-Player für die Firma Muji. Er hängt wie ein Ventilator an der Wand. Um ihn einzuschalten, muss man an einer Schnur ziehen. Die CD dreht sich wie ein Rotorblatt – nur produziert das Gerät keinen Wind, sondern Musik. Ein perfektes Interface. Das Design schmilzt förmlich in unsere Erfahrungswelt hinein, spielt mit Assoziationen wie Uhr, Schuhband, Ventilator, es ist humorvoll und natürlich auch funktionell.

Steht man zu lange zu nah vor einem Objekt, übersieht man die Zusammenhänge und kann nicht zu einer praktischen Lösung kommen. Ich bin kein Produktdesigner, der am Tisch zu zeichnen beginnt, mit Formen, Flächen und Farben spielt und auf diese Weise versucht, das bestmögliche Produkt zu schaffen – isoliert von der Außenwelt und ohne Zusammenhänge zu sehen. Wer so arbeitet, ist weltfremd. Man stelle sich ein Puzzle vor: Hundert Einzelteile repräsentieren das Umfeld eines Produkts. Das letzte Teil fehlt noch, das Produkt selbst. Studiert man alle Puzzleteilchen, findet sich bestimmt eine Form, die perfekt zu den anderen passt. Wenn man aber alle anderen ignoriert, während man das letzte Fragment zeichnet, wie kann es dann ins Gesamtbild passen? Die Harmonie wäre zerstört. So ähnlich ist es auch bei einem Sportwagen: Seine Bestimmung ist die Beschleunigung, entsprechend umspielen alle Linien seine Form und münden im Heck. Bei einem Porsche mit seinen charakteristischen Konturen ergibt sich das Heck so selbstverständlich wie das letzte Puzzleteil, das perfekt ins Gesamtbild passt. Die Front mag das Gesicht eines Fahrzeugs sein, aber das Heck prägt seinen Charakter.

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Naoto Fukasawa
www.naotofukasawa.com

Naoto Fukasawa

Naoto Fukasawa (61) zählt zu den gefragtesten Industrie- und Produktdesignern der Welt. Ob Toaster, Kühlschrank, Lampe, Handy oder Klappstuhl – es gibt kaum einen Alltagsgegenstand, den der Japaner nicht gestalterisch neu interpretiert hätte. „Menschen wollen Dinge abtasten“, sagt er. „Mit Händen und Augen, ständig.“

Diese Einsicht ist Ausgangspunkt all seiner Entwürfe und hat ihm mehr als 50 Auszeichnungen beschert. Dabei sieht er sich weniger als Künstler, der Gegenstände formt, sondern vielmehr als Interface-Designer – als jemand, der den Raum zwischen Mensch, Gegenstand und Umwelt beeinflusst. Fukasawa unterrichtet an der Kunsthochschule Tama, 20 Kilometer südwestlich von Tokio, ist jedes Jahr prominent auf der Mailänder Möbelmesse Salone del Mobile vertreten und berät mit seinem Designbüro Unternehmen weltweit.

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Dynamik: Porsche Panamera 4S - Kraftvoller Stand und eine straffe, flache Dachlinie

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Inspiration: Porsche 928 - Fast 20 Jahre lang unveränderter Gran Turismo: modern und zeitlos

Als Dialogbeitrag zum Blick von Industriedesigner Naoto Fukasawa – einem der prägenden Köpfe des japanischen Produktdesigns – auf das Porsche-Portfolio, skizziert Michael Mauer, Leiter Style Porsche und Chef des Volkswagen Konzerndesigns, seine Perspektive auf die Ästhetik der Heckansichten aus Zuffenhausen.

Klarheit

Der Porsche 911 repräsentiert die Urform des Porsche-Designs. Die Linienführung folgt der Idee der idealen Sportwagen-Proportionen. Der sich nach hinten verjüngende Innenraum betont die Breite der Schultern über den Hinterrädern und mündet im Heck. Hier findet sich das Herz eines jedes 911: der Motor. Und genau hier verbinden sich Funktion und Form. Klar, breit, wuchtig. Mit jeder neuen Generation eine weitere Evolutionsstufe. Scharf, sportlich, zeitlos.

Reduktion

Motorsport auf seine eindeutige Form reduziert: Im Porsche 718 Boxster S lebt der Sportsgeist des klassischen Porsche 718 RS wieder auf. Ein Mittelmotorsportwagen, präzise auf der Straße, exakt definiert im Auftritt. Das Heck: klar und eindeutig. Markant und selbstbewusst. Der dreidimensionale Aufbau der Rücklichter gibt den Leuchten eine besondere Tiefe. Eine kraftvolle Optik, frei von Zurückhaltung. Der Abschluss des 718 Boxster S verkörpert konsequente Sportlichkeit.

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Klarheit: Porsche 911 Turbo S - Kraft, Präsenz und ein Hauch von Ewigkeit

Ästhetik

Ein kompakter SUV; ein Sportwagen. Der Macan. Mit Platz, aber ohne Kompromisse. Und mit dem signifikanten Sportwagenheck eines Porsche: schlanke Dachpartie und muskulöse Schultern über den Rädern. Ein Zitat des 911. Charakteristisch für den Macan ist seine sportwagentypische Kontur – die Porsche-Flyline. Dabei fällt die Dachlinie deutlich nach hinten ab und gewährleistet optimale aerodynamische Qualitäten.

Dynamik

Dynamik und Effizienz, Performance und Komfort – im Panamera 4S vereint Porsche Limousine und Sportwagen zu einem athletischen Körper. Die straffe, überraschend flache Dachlinie des Viersitzers erinnert an ein Coupé und wird zur unverkennbaren Porsche-Skulptur. Eine zusätzliche Betonung findet sie in der Panamera-typischen Taille und dem präzise gezeichneten Heck. Prägend für den Panamera-Abschluss: klare Lichtkanten und ein souveräner Ausdruck.

Inspiration

Bei seinem Erscheinen war der Porsche 928 ein Ausblick in die Zukunft des Designs. Über den gesamten Produktionszeitraum von 1977 bis 1995 blieb der Gran Turismo in seiner Erscheinung nahezu unverändert. Die Unterkante der Windschutzscheibe liefert eine pointierte Hommage an die Porsche-Ikone, sie sitzt exakt auf 911-Maß. Charakteristisch für das Styling des 928: die gerundete Heckpartie und Klappscheinwerfer in einer extrem flachen Motorhaube. Ein sportliches Reisecoupé, visionär und konkurrenzlos. Inspiration für das automobile Design der kommenden Dekaden.

Ein weiteres Porsche Modell mit einer markanten Heckansicht finden Sie hier.

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Michael Mauer

Michael Mauer

Der heute 54-jährige Leiter Style Porsche und Chef des Volkswagen Konzerndesigns machte 1981 sein Abitur am Kolleg St. Blasien in Baden-Württemberg. Anschließend studierte er an der bekannten Hochschule Pforzheim im Fachbereich Transportation Design. Als Designchef von Porsche ist er seit 2004 tätig und damit verantwortlich für die Linienführung und Hecks vieler Modelle.


Text Naoto Fukasawa
Fotos Markus Bolsinger