Porsche - Full stop

Full stop

Die Zehnkolben-Bremssättel an der Vorderachse des Cayenne Turbo S setzen einen weiteren Höhepunkt bei der Entwicklung von Hochleistungsbremsanlagen – und reihen sich damit in eine lange Porsche-Tradition ein.

Auch trotz aller Vorausschau hilft manchmal nur noch der beherzte Tritt aufs Bremspedal. Was dann in einem Porsche geschieht, beeindruckt die Fahrer immer wieder aufs Neue. Dieses brachiale, fast surrealistische Brems-Erlebnis ist kein Zufallsprodukt, sondern – seit dem ersten Serien-Porsche mit Scheibenbremsen, dem 356 B Carrera 2 von 1962 – gelebte Philosophie. „Bei echten Sportwagen gehören Motor- und Bremsleistung zusammen wie Yin und Yang“, sagt Donatus Neudeck, Leiter Bremsen, Hydraulik und Betätigungssysteme bei Porsche. „Die erforderliche Dimensionierung einer Bremsanlage ermitteln wir aus vielen Parametern, unter anderem dem Fahrzeuggewicht, der Achslastverteilung, dem Beschleunigungsvermögen und der Höchstgeschwindigkeit. Unter Berücksichtigung von Kühlungseffizienz und Räderdimension entsteht dann die jeweils optimale Auslegung für Bremsscheibe, Bremssattel und die restlichen Radbremskomponenten.“

Ziel der Entwickler ist, in allen Baureihen die jeweils beste Brems-Performance und Fahrdynamik im Segment zu bieten. Auch für den Cayenne Turbo S bedeutet das: Egal ob Bremsscheiben-Dimensionierung und Materialwahl, Bremsenkühlung, Reifen und Regelsysteme – bei jedem Schritt schafft nur die kontinuierliche Betrachtung all dieser Komponenten am Ende ein stimmiges, ausgewogenes und überzeugendes Gesamtbild. So stellt Porsche sicher, dass auch der SUV wie ein Sportwagen bremst – eben weil er konsequent wie ein Sportwagen entwickelt wird.

„Die finale Auslegung der Bremsanlage leitet sich aus unserem Fading-Bremszyklus ab, der zu den anspruchsvollsten der gesamten Industrie zählt“, erklärt Alexander Prahst, Leiter Entwicklung Keramikbremse. Der Extremtest findet auf der Höchstgeschwindigkeits-Kreisbahn im italienischen Nardò statt, er umfasst 20 Bremsungen. Dabei beschleunigen die Tester das Auto von 90 auf 230 km/h. Dann wird gebremst. „Nach 15 Bremsungen erreichen die Scheiben Temperaturen von bis zu 750 Grad Celsius. Um die Kühleffizienz zu überprüfen, lassen wir sie zwischen der 15. und 16. Bremsung auf 150 Grad abkühlen. Bei den letzten fünf Bremsungen kontrollieren wir dann, ob sich das Reibwertniveau geändert hat beziehungsweise ob die Bremsen noch genau so unbeeindruckt arbeiten wie bei Testbeginn“, sagt Prahst.

Beim neuen, 419 kW (570 PS) starken und voll beladen bis zu 2900 Kilogramm schweren Cayenne Turbo S führten die Maximalanforderungen zu einer neuen Dimension in der Bremsenentwicklung. Er ist der erste Hochleistungs-SUV mit Zehnkolben-Bremssätteln an der Vorderachse. In Kombination mit den serienmäßigen, 420 mal 40 Millimeter großen Keramikscheiben mit Aluminium-Bremstopf erlaubt die Neuentwicklung eine drastische Vergrößerung der Belagfläche auf 165 Quadratzentimeter. „In Verbindung mit der ebenfalls neuen Reibschicht der Bremsscheibe ermöglicht das extrem gleichmäßige, konstant hohe Reibleistungen“, erläutert Prahst. Gleichzeitig konnte das Gewicht der Bremsscheibe von 9,8 auf knapp 8,5 Kilogramm gesenkt werden. „Größe und Gewicht sind klare Zielkonflikte. Bei unseren High-Performance-Varianten setzen wir deshalb konsequent auf die Keramik-Verbundbremse PCCB [Porsche Ceramic Composite Brake], was die ungefederten Massen um bis zu 30 Kilogramm reduziert und das Fahrverhalten verbessert“, sagt Prahst.

Zusätzlich legten die Ingenieure Aerodynamik und Achsen so aus, dass möglichst viel Kühlluft zentral in den Bremstopf gelangt. Innenbelüftete Bremsscheiben leiten die Wärme über laufrichtungsgebundene Innenkühlkanäle so besonders effizient ab. Wie entscheidend das ist, verdeutlicht Neudeck mit einem Rechenspiel: „Aus Höchstgeschwindigkeit abgebremst, reicht die beim Cayenne Turbo S entstehende Reibungswärme aus, um zwei Eimer Wasser in gut fünf Sekunden zum Kochen zu bringen.“

Performance sowie Geräusch und Komfort sind weitere Zielkonflikte. „Die Scheibe wirkt wegen ihrer Eigenschwingung wie ein Lautsprecher, der Schall abstrahlt. Kunden akzeptieren solche im Renneinsatz tolerierten Störgeräusche im Straßenbetrieb nicht. Deshalb entwickeln wir gemeinsam mit den Herstellern Beläge, die Bremsleistung und Geräuschanforderungen unter einen Hut bringen“, sagt Neudeck.

Abgesehen von diesen Detailunterschieden verläuft die Bremsenentwicklung im Rennsport und bei den Porsche-Serienfahrzeugen jedoch seit Jahrzehnten in inspirierendem Gleichklang, angefangen bei den bereits erwähnten ersten serienmäßigen Scheibenbremsen von 1962, die aus dem Formel-1-Rennwagen Porsche 804 stammten. Der 911 Turbo (Typ 930) übernahm beispielsweise 1977 quasi unverändert die Bremsanlage des Langstrecken-Rennwagens 917/30 von 1973.

Einen weiteren Schritt zu mehr Bremsleistung markierte der axial verschraubte Aluminiumfestsattel, der sich zum Standard bei den 911-Generationen 964 (seit 1988) und 993 (seit 1993) entwickelte. Die Verwendung von 17-Zoll-Rädern ermöglichte beim 964 ein deutliches Größenwachstum der Bremsanlage. Ihre Technik war erneut vom Rennsport getrieben. Im Porsche 935 der Gruppe 5 kam der einteilige Bremssattel mit über Bolzen abgestützten Belägen bereits 1976 zum Einsatz. Beim 993 wuchs der Durchmesser der vorderen Bremsscheiben weiter: auf 304 Millimeter bei den Basismodellen und auf 322 Millimeter beim Turbo. Die maximale Verzögerung der Bremsanlagen überstieg schon zu dieser Zeit 1,2 g. Heute messen die Scheiben im Basis-Elfer vorn und hinten 330 Millimeter.

Die unterschiedlichen Porsche-Bremsen sind an der Farbe der Sättel zu erkennen: Die Standardversionen sind schwarz, die S-Bremssättel je nach Modell silberfarben oder rot, die PCCB-Bremsen gelb lackiert. Was die Größe angeht, lassen sich mehr als 420 Millimeter Scheibenmaß in einem 20-Zoll-Rad nicht realisieren, das ist auch beim Cayenne Turbo S die Begrenzung – wegen des Kettenfreigangs auf 20-Zoll-Winterrädern. Wohin geht also die weitere Entwicklung?

Porsche wird auch in Zukunft keinen Millimeter von seiner anspruchsvollen Bremsenstrategie abrücken“, verspricht Neudeck. „Der Trend zu leichteren Fahrzeugen spielt uns natürlich in die Hände, und auch die Hybridisierung entlastet die Bremsen stärker, als mancher erwartet. Beim Rennsporteinsatz des 911 GT3 R Hybrid haben wir festgestellt, dass sich Belag- und Scheibenverschleiß um bis zu 50 Prozent reduzieren.“ Doch es gibt neue Herausforderungen. Ab 2021 darf in den USA in Bremsbelägen kein Kupfer mehr verwendet werden. Zurzeit liegt der Anteil in den Belägen noch bei bis zu 35 Prozent – wegen seiner hohen Wärmeaufnahme und homogenen Ableitung spielt das Material bislang bei High-Performance-Bremsbelägen eine wichtige Rolle. „Da mussten wir mit der Entwicklung quasi von vorn anfangen“, sagt Neudeck. „Mittlerweile haben wir jedoch hochinteressante Alternativen gefunden und werden die Vorschriften voraussichtlich weit vor der Zeit erfüllen.“ Der nächste Bremsen-Höhepunkt von Porsche ist in Arbeit.

Text Christoph Reifenrath
Fotografie Rafael Krötz

Die Welt ist eine Scheibe

Vom 356 bis zum Cayenne – Meilensteine der Bremsenentwicklung


2015

Zehnkolben-Bremssättel kommen erstmals serienmäßig an der Vorderachse des Porsche Cayenne Turbo S zum Einsatz. In Verbindung mit den ebenfalls serienmäßigen Keramikbremsscheiben, die einen Durchmesser von 420 Millimetern aufweisen, sorgen sie für höchste Fading-Stabilität und sehr gutes Ansprechverhalten auch aus hohen Geschwindigkeiten.

2001

PCCB (Porsche Ceramic Composite Brake) feiert im 911 Turbo und 911 GT2 Premiere. Die Keramikbremsen sind 50 Prozent leichter als Graugussscheiben gleicher Leistungsfähigkeit. Dadurch reduzieren sich die ungefederten Massen – Fahrkomfort und Bremsleistung steigen.

1996

Monobloc-Aluminium-Bremssättel gehören zur Serienausstattung der ersten Boxster-Generation. Die Vier-Kolben-Monobloc-Festsättel sind zur besseren Wärmeableitung aus einem Stück gefertigt.

1983

Das Antiblockiersystem (ABS) findet sich zum ersten Mal in der Aufpreisliste des 928 S. Es verhindert, dass die Räder bei einer Vollbremsung blockieren – die Lenkfähigkeit des Autos bleibt erhalten.

1977

Vierkolben-Aluminium-Bremssättel sorgen im 911 Turbo 3.3 dafür, dass die Bremsleistung mit der gesteigerten Motorleistung Schritt hält. Die Technik stammt aus dem Rennwagen 917/30.

1974

Gelochte Scheiben gehören zur spezifischen Ausstattung des 911 Carrera 3.0. Die Löcher garantieren, dass Belagabrieb und Wasser abgeführt werden, wodurch sich das Ansprechverhalten speziell bei Nässe verbessert.

1966

Innenbelüftete Bremsscheiben hat der 911 S als erster Porsche serienmäßig an Bord – vorn und hinten. Die Kühlöffnungen zwischen den Reibflächen führen die beim Bremsen entstehende Wärme ab.

1962

Innenumgreifende Scheibenbremsen kommen im 356 B Carrera 2 zum Einsatz. Die Bremszangen umgreifen die Scheiben von innen, wodurch größere Scheiben­durchmesser verwendet werden können.

Illustration Bernd Schifferdecker