Porsche - Gipfelstürmer

Gipfelstürmer

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Einsteigen in den Carrera 6 bedeutet präzises Einfädeln in die schmale Luke einer Flügeltür

Ein Cayman GTS und ein 906 Carrera 6 auf Tour in den Schweizer Alpen. Der 918 Spyder vervollständigt die Bergkameradschaft.

Ganz ehrlich: Nie waren Sportwagen mit Mittelmotor schärfer als gerade jetzt. Der Cayman mit der Zusatzbezeichnung GTS führt einige Hitlisten an, etwa bei Rundenzeitenvergleichen, dem Preis-Leistungs-Verhältnis oder dem all’arrabbiata-Zustand von Fahrwerk, Bremsen, Getriebe und Motor. Früher hätte uns ein derartiger Sportwagen mit nahezu gleichmäßiger Achslastverteilung von 45,7 Prozent vorne und 54,3 Prozent hinten sowie einem Leistungsgewicht von vier Kilogramm pro PS Tränen der Anspannung in die Augen getrieben, bei gleichzeitig feuchten Händen und trockenem Mund. Hier und jetzt vermittelt ein Cayman GTS sehr souverän das Gefühl, man wäre ebenso Kurven- wie Lebenskünstler, ein feinsinniger Lenker und kontrollierter Abenteurer im Grenzbereich von Traktion und Querbeschleunigung.

Seine Leistungsdaten und Fahrleistungen wären vor zwei Generationen nahezu Garant für einen Sieg beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewesen. Wenn sich die Jugend von heute so fühlen darf wie die Sieger von damals, verdankt sie dies einer elektronischen Raffinesse, von der Smartphones und PCs nicht mal träumen. Moderne Sportwagen sind Prototypen einer Elektronik, die immer funktioniert: zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter, auf allen Straßen und bei jedem Tempo.

Die Porsche-Techniker entwerfen und verwirklichen immer neue, noch ambitioniertere, noch präzisere Szenarien für das Fahrerlebnis von Sportwagen mit Mittelmotoren.

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Zweiliter-Sechszylinder- Boxer, gekühlt durch ein vorn stehendes Gebläse und mit offenen Ansaugstutzen beatmet

Doch auch diese Steuerungseinheiten stehen im Schatten von Gehirnen, die in den Köpfen der Porsche-Techniker im Entwicklungszentrum Weissach immer neue, noch gewagtere, noch präzisere Szenarien und Parameter entwerfen und verwirklichen. So ist der Cayman GTS im normalen Fahrzustand ein Muster an Präzision und Komfort, mit einer immer gleich sensiblen Lenkung und der rücksichtsvollen Abstimmung von Federn und Dämpfern.

Diese Einstellung für Genießer macht es einfach, ihn außerhalb der Gesetze zu bewegen: Mit Tempo 121 km/h gleitet man zwar entspannt durch prachtvolle Landschaften, gilt aber mit der tollkühnen Geschwindigkeitsüberschreitung von einem km/h in der Schweiz bereits als Outlaw. Dennoch ist Tiefenentspannung pur zu spüren. Bummeln im sechsten Gang, wobei sich Drehzahl und Kraftstoffverbrauch jeweils mit immer neuen Tiefstwerten unterbieten, dazu eine Alcantara®-Kanzel mit luxuriösem Purismus. Ziernähte und Schriftzüge in Kontrastfarbe, das Zifferblatt des Drehzahlmessers ein einziger roter Bereich, Zierblenden aus Sichtcarbon.

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Die Straße über den 2224 Meter hohen Sustenpass wurde 1938 bis 1945 gebaut. Vor der Grenze zum Kanton Uri erlaubt eine kurze Gerade den Sportwagen etwas Auslauf

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Der restaurierte Carrera 6 hat sogar eine Straßenzulassung

Bevor die Idylle in Kitsch übergehen könnte, verlassen wir kurz vor dem Gotthard-Tunnel die Schweizer Autobahn. Die Straße in den Himmel hat die Qualitäten alter Bergrennstrecken, auf einer Seite Felswand, auf der anderen Abgrund. Ein Druck auf die Sport-Plus-Taste verteilt weiteres Adrenalin und Testosteron, schärft umgehend nochmals Fahrwerk und Motor. Der Cayman tigert straffer in die Kehren, hängt direkt am Gas, schießt beim Gaswegnehmen deutlich nach. So könnte es früher gewesen sein, wenn die Piloten auf dem Weg zum Gipfel von einer Lenkung träumten, die so direkt wie komfortabel ist, von einem Drehmoment-Monument über einen breiten Drehzahlbereich, und von gleichmäßig brutalen Bremsen.

Kaum hält man den Cayman für den besten Mittelmotor-Sportwagen auf Bergstraßen, taucht im Rückspiegel ein flaches weißes Brett mit Glaskuppel und Cayman-ähnlichen Scheinwerfern auf. Die Kuppel zischt vorbei und entpuppt sich als Porsche 906, ein Rennwagen aus den Sechzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts. Damals wurden die Rennfahrer in dünnen Sitzschalen auf die Straße gelegt, von einem Gitterrohrrahmen umgeben und mit Kunstharz überzogen. Ein Carrera 6 wiegt weniger als 700 Kilogramm, und die rund 154 kW (210 PS) Leistung des Zweiliter-Sechszylinder-Boxermotors bescherten Porsche ab 1966 nicht nur Klassensiege en masse, sondern auch Gesamtsiege bei Langstrecken-WM-Läufen. Die meisten der insgesamt 67 hergestellten Carrera 6 wurden an Privatrennfahrer verkauft. Dieses Modell, mit der Startnummer 26 und blauer Fronthaube, hat sogar eine Straßenzulassung. Flügeltüren und riesige Motorhaube wirken nach heutigen Maßstäben dünnhäutig und funktionieren tadellos.

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Und dann kam plötzlich auch noch dieser 918 Spyder, zuerst elektrisch lautlos, dann mit schwerem V8-Motor-Donner

Man lässt sich fließend wie ein Wasserstrahl in ein Carrera-6-Cockpit gleiten und liegt dann entspannt zwischen Vorderachse und dem senkrecht im Rücken stehenden Lüfterrad. 1966 kam der Rennsport noch ohne Sicherheitsgurte aus, deshalb sind die Haltegriffe exakt definiert: für den Piloten Lenkrad und Schalthebel, für den Beifahrer die kühlen Stäbe des Rahmens. In den wärmeren Rahmenrohren läuft Öl zwischen Mittelmotor und Ölkühler vorne. Der Blick nach oben durch die Kuppel ist grenzenlos bis ins Blau des Himmels, vorne markieren die großen Radkästen einen genauen Zielkorridor für die präzise Lenkung. Trotz der Enge, gefühlt deutlich weniger als 100 Zentimeter in der Breite für zwei Personen, und des ungefilterten Motors mit Ansaugstutzen auf Ohrenhöhe wirkt das Cockpit geradezu bequem. Die Passagiere liegen quasi auf dem Rücken und schauen über ein karges Armaturenbrett auf Straßen, die in kühnen Serpentinen über einige der schönsten Schweizer Bergpässe führen: alte Gotthard-Straße, Nufenen, Grimsel, Susten – alle mehr als 2000 Meter hoch und von einem engmaschigen Kurvengeflecht überzogen, das an Felswänden entlangschrammt und über Abgründen balanciert.

Unser Carrera 6, im Originalzustand und sehr gut in Schuss, überrascht mit feinem Federungskomfort über manche Bodenwelle, mit Bremsen auf der Höhe der Zeit und mit einer spontanen, direkten Lenkung. Der in alle Richtungen offene Motor verlangt allerdings irgendwann nach Ohrenstöpseln oder Kopfhörern, während sich auf Navigationsgerät und Telefon durchaus verzichten lässt. Umgekehrt zeigt auch der Cayman GTS, welcher Renner eigentlich in ihm steckt, obwohl man deutlich einfacher einsteigen kann und die Klimaanlage jedes Wetter draußen ausblendet.

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Stefan Bogner: Jahrgang 1968, hat aufregende Kurven zu seiner fotografischen Passion gemacht. Vorzugsweise im Zusammenspiel mit aufregenden Autos. Und beides am liebsten puristisch, ganz so wie seine Arbeiten. Die erscheinen gesammelt auch in Bildbänden, der neueste heißt „Epic“.

Auf den leeren Straßen, gut einsehbar bis ins Tal, ergibt sich automatisch eine elegante Ideallinie, die auch für die regelmäßig fahrenden Postbusse gut funktionieren würde. Cayman GTS und Carrera 6 finden sich zu einem idealen Tanzpaar in mehr als 2000 Meter Höhe. Mal führt der Rennwagen, mal der Sportwagen.

Ein markantes Vier-Punkt-Licht kündigt einen weiteren sportlichen Bergkameraden an. Kaum biegt sich die Kurve zur Geraden, fegt ein Porsche 918 Spyder vorbei. Carrera 6, Cayman GTS und 918 Spyder – die beiden neuen Mittelmotor-Sportwagen und ihr ferner Ahne aus der Linie der Porsche-Rennwagen fügen sich zum durchgehenden Stammbaum mit vielen Gemeinsamkeiten. In Tunneln fahren die drei knapp hintereinander, mit offenen Seitenscheiben natürlich.

Text Eckhard Eybl
Fotografie Stefan Bogner

Cayman GTS (Typ 981), Motor: Sechszylinder-Boxer-Mittelmotor; Hubraum: 3436 cm3; Leistung: 250 kW (340 PS); Max. Drehmoment: 380 Nm bei 4750–5800/min; 0–100 km/h: 4,9 (4,6*) s; Höchstgeschwindigkeit: 285 (283*) km/h; CO2-Emission (kombiniert): 211 (190*) g/km; Verbrauch innerorts: 12,7 (11,4*) l/100 km, außerorts: 7,1 (6,3*) l/100 km, kombiniert: 9,0 (8,2*) l/100 km; Effizienzklasse: G (F*). * mit Porsche-Doppelkupplungsgetriebe und Sport Plus

906 Carrera 6, Baujahr: 1966, Antrieb: luftgekühlter Sechszylinder-Boxer-Mittelmotor, zwei oben liegende Nockenwellen mit Kettenantrieb, zwei Dreifach-Fallstromvergaser, elektrische Benzinpumpe; Hubraum: 1991 cm3; Leistung: 154 kW (210 PS); Höchstgeschwindigkeit: 280 km/h*; Getriebe: Fünfgang, manuell; Karosserie: glasfaserverstärkter Kunststoff (GFK), Stahl-Gitterrohrrahmen; Leergewicht: 675 kg. * je nach Übersetzung