Porsche - Der Typ von der Rennstrecke

Der Typ von der Rennstrecke

Der Porsche 911 Turbo feiert 2014 sein 40-Jahr-Jubiläum. Hans Mezger, Motoren-Experte und einer der Turbo-Väter, nutzt den Anlass zu einer Reise zwischen Gestern und Heute – mit zwei aufgeladenen Begleitern.

Der sportliche Gentleman schätzt ein kariertes Polster. Das hellgrüne Leder passt perfekt dazu und rahmt nicht nur die Sportsitze. Das Radio ziert ein integriertes Kassettendeck. Aus der Mittelkonsole ragt dünn und lang der Schaltknüppel hervor. Auf seinem Knauf ist unübersehbar das „H“ eingeprägt, die Orientierungshilfe für den Fahrer, damit er sieht – Gang eins, zwei, drei und vier –, wie es vorwärtsgeht. Das Schalten selbst bleibt dennoch eine anspruchsvolle Tätigkeit. Trotz Wegweiser muss man die Gänge zwar nicht suchen, aber fühlen. Wer beim Beschleunigen vom Zweiten (hinten links) reibungslos in den Dritten (vorne rechts) will, sollte auf die Signale achten, die der Ballen der rechten Hand ans Gehirn sendet. Leichter Widerstand erfordert eine sanfte Kurskorrektur. Ein Akt sensibler Annäherung. Sogar für Hans Mezger, den die Fachwelt einst „Motorenpapst“ taufte und zum „Vater aller Porsche-Turbomotoren“ ernannte. Er kennt das Innere des Wagens wie kein anderer, aber vor dieser Jubiläums-Tour zum 40. Geburtstag ist er das Museumsstück schon Jahre nicht mehr gefahren:

Geschichte bunt kariert: Hans Mezger am Steuer des 911 Turbo 3.0, Baujahr 1976

Porsche 911 Turbo, erste Generation, Baujahr 1976. Ein luftgekühlter Boxermotor mit sechs Zylindern, Turboaufladung und drei Liter Hubraum. 191 kW (260 PS) bei 5500 Umdrehungen pro Minute. Ein Drehmoment von 343 New­tonmeter bei 4000 Umdrehungen pro Minute. Von null auf hundert braucht er 5,5 Sekunden, seine Höchst­geschwindigkeit liegt jenseits der 250 km/h. Verbrauch (umgerechnet auf den aktuellen Neuen Europäischen Fahrzyklus NEFZ): 14,95 Liter pro 100 Kilometer. Eine zeitlose Schönheit in Oakgrün, ausgestattet mit einem Antrieb, der für Porsche schon immer das Maß der Dinge war und dem jetzt wieder eine große Zukunft vorausgesagt wird.

Zwei Könige der Straße und „Motorenpapst“ Mezger vor dem Schloss Solitude bei Stuttgart

Hans Mezger wird schnell warm mit seinem Turbo, mit dem er viel gemeinsam hat. Als fitter Mittachtziger hat er sich so gut gehalten wie der Sportwagen. Dass er zum Lenken so viel Kraft braucht wie zum Kuppeln und zum Bremsen, lässt ihn richtig aufleben. „Das ist noch Auto fahren“, sagt er genüsslich und strebt mit Druck aufs Gaspedal dem Punkt entgegen, der diesen Turbo zum Turbo macht. Wenn der Drehzahlmesser so 3700/min anzeigt, erwacht der Turbolader im Heck zum Leben und presst vehement zusätzlich Luft in die Brennräume. Das ist der Moment, in dem es einen ohne Vorwarnung in die Sitze drückt und man glaubt, Apollo 11 zünde die zweite Stufe: Der Turbo geht ab.

„Wo andere Motoren aufhören, fängt der Turbo erst an“, sagt Mezger zufrieden, „so wird der Fahrspaß noch mal getoppt.“ Ein Hochleistungsprinzip, an das sich der normale Autofahrer seinerzeit erst gewöhnen musste. Der Turbo – ein Sportwagen direkt aus der Boxengasse.

Doppelte Ladung: 930 Turbo und 991 Turbo auf den Spuren der ehemaligen Solitude-Rennstrecke

Anfang der Siebzigerjahre lehrte Porsche die US-Amerikaner in der populären CanAm-Serie das Fürchten. Wo bislang auf den Rennstrecken Saugmotoren mit sieben und acht Liter Hubraum den Ton angaben, eilte Porsche mit einem 917 mit wesentlich kleinerem Hubraum von Sieg zu Sieg. Es war ein Turbo, ein Antriebsprinzip, das sich für den Motorsport eigentlich als untauglich erwiesen hatte. Zwar war die Leistungssteigerung unbestritten, aber das Ansprechverhalten galt als ungenügend. Man brauchte hohe Drehzahlen und zu viel Zeit, bis die Turbine in Aktion trat. Diplom-Ingenieur Hans Mezger und die Kollegen aus der Abteilung Rennmotoren hatten herausgefunden, wie sich das vermeiden lässt. Der Turbolader wurde verkleinert, die Abgase, die nicht gebraucht wurden, strömten mithilfe eines Bypass-Systems am Lader vorbei. „Alle Hilfsmittel, die wir verwendet haben, hatte es schon gegeben“, erinnert sich Mezger, „sie waren nur falsch eingesetzt und verworfen worden. Wir haben sie wiederentdeckt – und neu erfunden.“

Der 917/30 Spyder von 1973 brachte es so mit 5,4 Liter Hub­raum auf 882 kW (1200 PS). Durch eine Reglementänderung entledigten sich die Amerikaner des gefürchteten Dauersiegers. Die Ölkrise kam, alle mussten umdenken, auch die Motorsportbehörde FIA, die plötzlich laut über Verbrauchsreglements und produktionsnahe Rennwagen nachdachte. Porsche hatte sich ohnehin entschieden, die Serienfahrzeuge am Turboerfolg teilhaben zu lassen. Im Herbst 1973 präsentierte Porsche auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt den ersten 911 Turbo. Es war eine Art Frühgeburt, wovon 400 Straßenfahrzeuge hergestellt werden sollten, um als Basis für einen Rennwagen zu gelten. 1974 stand auf der Automobilausstellung in Paris das erste Straßenfahrzeug des 911 Turbo.

Intern war das Fahrzeug zunächst umstritten. Unverkäuflich, glaubte der Vertrieb: zu sportlich und mit einem Preis von 65 800 D-Mark zu teuer – und das in Zeiten der Ölkrise. Als Kaufanreiz wurde der Turbo als Luxus-Elfer ausgestattet. Dennoch lautete die bange Frage: Bleibt Porsche auf den 400 Fahrzeugen sitzen? Im August 1975 machten sich Hans Mezger und Technik-Vorstand Ernst Fuhrmann auf die Reise zur Fahrvorführung nach Columbus in Ohio, USA. Die Journalisten waren erst geschockt angesichts der ungewohnten Fahreigenschaften – und dann schnell begeistert. „Es war, als hätten alle auf so ein Auto gewartet“, sagt Mezger. Die Kunde vom „Wahnsinn auf Rädern“ füllte die Gazetten, die 400 Turbos gingen schnell weg. Bis zum Ende der luftgekühlten Elfermotoren Mitte der Neunzigerjahre wurden mehr als 30 000 Turbos verkauft. „Ohne den 917 hätte es den 911 Turbo wohl nie gegeben“, glaubt Mezger. Der Typ von der Rennstrecke hatte sich durchgesetzt.

911 Turbo 3.0

Perspektivenwechsel: Hans Mezger verlässt das karierte Polster und bringt sich in dem schwarzen Vollleder-Sportsitz mit vollelektrischer 18-Wege-Einstellung hinter dem Steuer mit Schaltpaddeln in Position. Von hier aus bedient er einen wassergekühlten 3,8-Liter-Boxermotor mit Benzindirekteinspritzung, VarioCam Plus (einlassseitig variable Steuerzeiten und Ventilhubumschaltung) sowie Biturbo­aufladung mit variabler Turbinengeometrie (VTG). Auf der ansteigenden Mittelkonsole des Porsche 911 Turbo S, neueste Generation, sucht man vergeblich nach dem Schalt-knüppel mit eingeprägtem „H“. Die Kraft des Turbos lässt sich mittlerweile nur noch mit einem automatisierten Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe optimal nutzen. Es geht um 412 kW (560 PS). Durchschnittlicher Kraftstoff-verbrauch nach NEFZ: 9,7 Liter pro 100 Kilometer.

Es ist eine sehr souveräne Fahrt über die Landstraße in diesem Sportwagen, ausgestattet mit einem Motor, der geduldig warten kann, bis seine Kraft gebraucht wird. „Downsizing“, sagt Hans Mezger plötzlich in einer leichten Linkskurve, „das Wort gab es damals noch nicht. Aber genau das haben wir doch getan, nämlich aus kleinen Motoren mit wenig Verbrauch die optimale Leistung herausgeholt.“ Er habe, erzählt Hans Mezger, in der Zeit der erfolgreichen Porsche-Turbo-Rennmotoren oft Vorträge gehalten an Hochschulen und vor Ingenieurverbänden. Alle wollten mehr wissen über die leistungssteigernde Kraft des Prinzips. Immer wieder habe er darauf hingewiesen, dass sich die Turboaufladung außerdem bestens zur Verbrauchsreduzierung eigne. „Aber das hat damals keinen interessiert“, sagt Mezger. Und als Ende der Achtzigerjahre die Turbos durch das Diktat der Reglements langsam von den Rennstrecken verschwan­den, empfand er das als Rückschritt. „Der Lader dämpfte ja auch. Das heißt, die Turbos waren leiser als andere Rennwagen und sie reduzierten die Emissionen. Aber erst jetzt reden alle von Downsizing mit Turbounterstützung.“

Porsche dachte und entwickelte immer so, hält bis heute die Motoren klein und steigert Effizienz und Leistung. Der bes­te Beweis ist dieser 911 Turbo S, den Hans Mezger sicher im Griff hat. „560 PS“, sagt er und schüttelt den Kopf, „vor 30 Jahren haben wir mit dieser Leistung harte Rennen bestritten. Und heute kann man mit so einem starken Motor bequem spazieren fahren. Verglichen mit damals, muss man nur noch lenken.“ Die Zeit vergeht, der Turbo bleibt.

991 Turbo S

Effizienz: Turbo-Lehrbeispiel aus der Formel 1

Formel-1-Fahrer Niki Lauda (links) und Hans Mezger 1985 an der Rennstrecke

Für Firmengründer Ferry Porsche stand immer fest: „Wir betreiben Motorsport, um den besten Sportwagen für die Straße bauen zu können.“ Diese Allianz kam auch immer dem Porsche 911 Turbo zugute, der sein Dasein dem Porsche 917/30 Spyder verdankt. Der Dauersieger in der CanAm-Serie war bei den US-Amerikanern als „German Tank“ gefürchtet. Noch nach seiner CanAm-Karriere stellte der 917/30 mit Pilot Mark Donohue am Steuer 1975 auf dem 4,280 Kilometer langen Hochgeschwindigkeits-Oval von Talladega, Alabama, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 355,86 km/h einen neuen Weltrekord für Rundstreckenkurse auf.

Motoren-Mann Hans Mezger hat aber einen anderen Liebling, wenn es um die Effizienz von Turbomotoren geht: das Formel-1-Aggregat, das Porsche in den Achtzigerjahren als TAG Turbo für McLaren entwickelte. Der 1,5-Liter-V6-Motor leistete dank Abgasaufladung weit über 588 kW (800 PS). Das Reglement beschränkte den Benzinverbrauch je nach Motorart. Das führte im April 1984 im südafrikanischen Kyalami zum Eklat. Niki Lauda und Alain Prost zogen im McLaren TAG Turbo einsam ihre Bahnen und siegten nach 75 Runden und 307,8 Kilometer souverän. Der Rest des Feldes war überrundet oder mit leerem Tank liegen geblieben. Die Konkurrenz witterte Betrug und legte Protest ein. Niemals könne so etwas möglich sein. McLaren musste die Tanks ausbauen. Es war alles in Ordnung. McLaren wurde mit dem Porsche-Turbo drei Mal hintereinander Weltmeister.

Text: Roland Schreiber
Fotografie: Joel Micah Miller